Sonntag, 2. Juni 2019

Tag 9: Von Senj entlang der Küste nach Benkovac (Dalmatien)

Irgendwann in der Nacht kitzelt mich immer wieder etwas im Gesicht. Mehr schlafend als wach, versuche ich es wegzuwischen. Sollte es etwa doch eine Mücke in mein Netzzelt geschafft haben? Plötzlich brist es stark auf. Was ist denn los? Ich Nehme die Schlafmaske ab und richte mich auf: Es regnet. Das darf doch nicht wahr sein, für die ganze Nacht war die Regenwahrscheinlichkeit < 10 % angegeben. Ich schaue aufs Handy: Aktuell 65 %, nächste Stunde 35, dann wieder < 10%. Sch…ade. Aber keine Zeit, sich zu ärgern: Es sprüht ins Zelt, gottseidank noch nicht so stark, aber vernehmlich. Ich packe schnell meine verstreuten Habseligkeiten in die Tasche, nehme mein Bett (Luftmatratze, Laken, Schlafsack und Kissen) und gehe in Richtung Eingang. Irgendwo dort wird sicher ein Vordach sein, unter das ich mich legen kann. Mein Zelt überlasse ich sich selbst. Das einzige Vordach, dass ich finde ist das vor der Tür zu den Waschräumen und überdeckt eine Fläche von bescheidenen 2 qm. Ich ärgere mich. Warum habe ich nicht einfach ein ganz normales Zelt mitgenommen. Dieser blöde Gewichtsgeiz. Ich suche mir zwei Stühle, gehe in en Waschraum, packe mein Bett auf den einen und mich in den anderen. Schlafmaske drauf und entspannen. Nach 20 Minuten hört der Regen auf. Ich warte noch einen Moment und gehe zurück zum Zelt. Nur ein paar Tropfen Wasser drinnen. Mit meinem Outdoorhandtuch (eigentlich ein überdimensionales Mikrofasertuch) wische ich kurz entschlossen das Zelt aus. Es hat sich doch schon ganz schön viel Wasser gesammelt, und der Boden ist immerhin dicht. Ca. 45‘ nachdem ich aufgewacht bin, liege ich wieder im Zelt. Es war vorher so gemütlich, bequem und sicher. Nun fühle ich mich darin ziemlich verwundbar. Aber die Schlafmaske hilft, der Rest der Nacht verläuft ohne weitere Zwischenfälle und ich fühle mich gut erholt und frisch (ehrlich Mama).


Warum nur sind diese Inseln so trocken (hier Krk)?


Nachdem ich das Zelt getrocknet (muss ich auch ohne Regen machen, selbst in diesem Zelt bildet sich Kondenswasser), und zusammengepackt habe, hole ich mir beim Bäcker Frühstück, was ich an einer Bank an der Promenade zu mir nehme. Danach nehme ich noch einen Cappuccino (1.30 € - diese Preise irritieren mich immer noch) in einem Café und fühle, dass ich weiter muss: Man soll gehen, wenn es am Schönsten ist.

Also geht’s los, 120 km entlang der Küste, bevor wir nach Westen, nach Dalmatien abbiegen werden. Die Küstenstraße ist, was soll ich sagen, in Traum. Sie schlängelt sich mal direkt am Meer entlang, mal 300 hm oberhalb (dementsprechend bietet auch die 3. Dimension reichlich Abwechslung). Rechts sieht man zunächst die Insel mit dem unaussprechlichen Namen Krk, und dann entsprechende weitere Inseln (die Kornaten?). Dazwischen azurblaues Meer. Links eine Berglandschaft, dass man jeden Moment mit Winnetous Erscheinen rechnet. Entsprechend ist die Straße gut befahren, hauptsächlich von deutschen Motorrädern und deutschen Wohnmobilen… Ist überhaupt noch irgendjemand in Deutschland? Trotzdem lässt es sich angenehm fahren, Argos und ich saugen die Straße in uns auf.
Irgendwann stehen schon 65 km auf dem Tacho, als wir durch einen größeren Ort kommen. Sollte ich vielleicht hier etwas essen? Ach ne, lieber erst in 5 – 10 km. Es kommt aber nichts. Zuvor gab es im Abstand von je einem Kilometer mindestens ein Restaurant, nun gibt es nur noch Zimmer zu vermieten. Müssen die armen Gäste denn nie essen? Ich beginne schon, mich mit der Idee abzufinden, von meinen Müsliriegeln zu essen, als nach 95 km hinter einer Kurve gleich zwei Restaurants auftauchen. Ich bin gerettet. Heute steht mir nicht der Sinn nach Elaboriertem: Mixed Grill Teller mit Pommes, gemischter Salat und nochmal Palatschinken (diesmal schön traditionell mit Marmelade) zum Dessert. Dazu verputze ich sämtliches Brot, was sie mir gebracht haben.



Leider noch nicht reif


Das war gut. Als ich weiterfahre, würde ich eigentlich lieber ein Schläfchen machen. Entsprechend unmotiviert trete ich in die Pedale, als kurz vor mir zwei Typen mit Mountainbikes auf die Straße biegen. Da sie noch kaum Fahrt haben, ziehe ich direkt vorbei. Ich radele so vor mich hin, als ich irgendwann direkt hinter mir einen Freilauf rasseln höre. Nur Amateure sehen sich in solchen Momenten um, der Profi lässt sich nicht beeindrucken und ist auf alles vorbereitet. Ich versuche, den Profi zu geben, halte mein Tempo, bis tatsächlich die beiden Mountainbiker vorbei ziehen. Ich hatte mit einem windhundartigen Rennrad gerechnet, und dann DIE? Aufrecht wie ein Schränke sitzen sie im Wind, die Arme extrem weit auf dieser bizarren Lenkerstange auseinander – eine aerodynamische Katastrophe. „Egal“, denke ich. Aber Argos ist da anderer Meinung „Von den zwei Dingern lasse ich mich nicht überholen! Los, mach Dich klein und gib Kette!“. Na schön, manchmalmuss ein Jagdhund jagen. Ich lege mich auf die Aerobars und versuche, Argos bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Zwischenzeitlich sind wir rund 100 m zurück, aber dann wird der Abstand wieder kleiner. Nach ein paar Kilometern, an einer Steigung, sind wir nur noch 10 m hinter ihnen, als der hintere beginnt hektisch zu schalten und spürbar langsamer wird. Der vordere, er trägt ein England-Trikot, zieht noch etwas mehr, bricht aber auch ein. Wir fahren auf seine Höhe. „Bleib in den Aerobars, das vermittelt Entschlossenheit“, knurrt Argos mir zu. „Where are you from?“, frage ich ihn überflüssigerweise. „From England,“ die vorhersehbare, kurzatmige Antwort. „You?“. „From Germany“, antworte ich. Wir unterhalten uns kurz über unsere Urlaubspläne – die beiden sind auf Leihrädern ihres Aktivhotels unterwegs – und dann ziehen Argos und ich weiter. Zugegeben: Die beiden waren gut und gerne 20 Jahre älter als ich, es war also keine sportliche Heldentat. Aber unabhängig davon gibt so ein kleines Scharmützel manchmal mehr Energie, als es gekostet hat :)
Irgendwann ist die Küstenstraße vorbei und wir biegen nach Westen, nach Dalmatien ab. Die Landschaft ist hier ganz anders: Grüner, sanftere Hügel, viel Landwirtschaft. Es ist Sonntagnachmittag, und offenbar gehört es für die Männer hier in vielen Dörfern dazu, Boule zu spielen. Die Dörfer, die wir durchfahren sind völlig untouristisch.  Wenig touristisch ist zwar immer gut, aber ein Zimmer möchte ich diese Nacht schon gerne haben. Und laut Booking gibt es in meine Zielort – nichts. Hoffentlich finde ich so etwas. Als das Navi „Ziel erreicht“ zeigt, stehe ich gerade vor einer baufälligen Fassade – hoffentlich ist das kein Omen. In eine Restaurant frage ich, wo man ein Zimmer mieten könne, und man schickt mich zu Josef und Mila. Die beiden sind um die sechzig und haben ein großes schönes Haus, in dem sie Zimmer vermieten. Da sie einige Jahre in Frankreich gelebt haben, ist französisch die Sprache der Stunde (danke, Nicolas, für das aufpolieren meines Touristenfranzösich!). So laden sie mich zur Begrüßung direkt auf einen selbstgebrannten Schnaps ein – Raki. Ist wohl das gleiche wie Tsipouro oder Grappa, aber wirklich fein, ohne zu brennen und voller Aroma :) Zum Abendessen gibt es zur Abwechslung mal eine Pizza und nun liege ich schon müde im Bettchen.

Noch zwei Worte zu meiner Verfassung: Passt alles. Bei Aufstehen oder hinsetzen zieht meistens irgendetwas. Aber auf Argos ist es meist wieder ok. Der Hintern tut halt manchmal weh, aber es wird nicht mehr schlimmer. Das Knie ist fast wieder unauffällig und der Nacken ebenso. Die Beine sind natürlich nicht mehr taufrisch, aber fühlen sich beim Radeln immer noch gut an.

Morgen geht's wieder an die Küste, südwärts, nach Baska Voda. Gute Nacht für heute.



"Ziel erreicht"

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