Freitag, 21. Juni 2019

Tag 27: Eine Runde nach Paramonas

Heute lasse ich mich nicht vom Wecker wecken. Als ich aufstehe ist es halb zehn, auch mal schön. Das Frühstück besteht zwar nur aus einer Orange und einem Kaffee (ich habe es irgendwie nicht hinbekommen einzukaufen) aber bis ich loskomme, ist es schon 11 Uhr. Ich mache alles ziemlich gemütlich. Heute  machen wir einen Ausflug nach Paramonas. Es ist ein kleiner Strand im Südwesten der Insel, und aus irgendeinem Grund gehört bei jedem Korfu-Aufenthalt dieser Ausflug dazu. Unterwegs haben sich im Laufe der Zeit auch ein paar Stationen angesammelt, wo wir stets eine Pause machen, um einen Kaffee zu trinken oder die Aussicht zu genießen. Es ist eine Tradition und dieser Tag heißt Paramontag (auch wenn er auf einen Donnerstag fällt).

Zuerst geht es von unserem Dorf etwa 200 hm den Berg hinauf. Oben gibt es einen Aussichtspunkt, von dem man die gesamte Bucht, die vorgelagerten Inseln und Albanien sehen kann. Es halten oft Touristen dort, und auch jetzt sind welche da. Eine Dame mitte sechzig fragt mich, ob die Aussicht den Weg hoch Wert gewesen sei. So komme ich mit Ihr und ihrem Sohn, der etwa in meinem Alter ist, ins Gespräch. Die beiden sind Australier, und wie ich dem Gespräch entnehme, sind sie nicht zum ersten Mal in Europa. Dann erfahre ich, dass der Sohn früher einmal ein sehr ambitionierter Amateurradsportler war. Er ist sogar in seinen frühen Zwanzigern bei ein paar größeren Rennen mitgefahren (Tour of Greece, Tour of the Netherlands). In seinen besten Zeiten kam er wohl auf fast 1000 Trainingskilometer pro Woche - was mir absurd viel für einen Amateur scheint. Dennoch ist ihm der Sprung zum Profi nicht geglückt - durch die Blume habe man ihm zu verstehen gegeben, dass es ohne Doping nicht weiter ginge. Und das habe er auch gemerkt - ein paar Tage konnte er bei den Rennen mithalten, aber irgendwann war es einfach vorbei, die Belastung ist schlicht zu hoch, der Körper kann sich nicht schnell genug erholen. Als ihm das bewusst wurde, hat er das Radfahren aufgegeben. Ich zweifle nicht an seinen Worten. Ich finde es nur schade für ihn, dass er es deswegen ganz aufgegeben hat.


Nun geht es nur für ein paar Kilometer weiter nach Angelokastro. Es ist eine alte Festung (aus byzantinischer Zeit?) auf einem Felsen über dem Ionischen Meer. Eigentlich gibt es von der Burg nicht mehr viel zu sehen - aber die Aussicht ist einmalig. Ich war aber schon oft oben, und weil ich heute noch etwas mehr Weg vor mir habe, fahre ich nur bis zum Fuße des Felsens und mache das obligatorische Bild.




Dann geht es wieder weiter. Die Straße von Angelokastro hinunter nach Paleokastritsa ist wunderschön - eine Miniatur der Amalfitana. Dementsprechend ist es auch ziemlich touristisch. Dennoch halte ich bei einem vertrauenerweckenden Laden und frühstücke: Eine unterdurchschnittliche Spinatpita und ein wirklich schlechtes Croissant. Immerhin wirkt insbesondere Letzteres ziemlich hochkalorisch. Und ein Energiegel schmeckt bestimmt auch nicht besser... Also geht es geschwind weiter nach Paleokastritsa und dann Richtung Süden. Wir kommen nun durch kleinere Ortschaften im Inland, die sofort weniger touristisch sind. Bald bin ich auch schon beim nächsten Haltepunkt: Ein einfaches Café, wo man nett unter Bäumen sitzt, aber kaum etwas los ist. Nach einem Orangensaft geht es weiter. Mir fällt auf, dass man auf den kleinen kurvigen Straßen kaum langsamer ist, als mit dem Auto. Der nächste Stop ist Pelekas, wohl ein ehemaliger Hippie-Ort. Auf einem Hügel gibt es einen schönen Aussichtspunkt, von dem man aus bis zur Stadt und zum Festland schauen kann. Immer wieder schön.







Nun muss ich aber wirklich mal weiter, ich bin es nicht gewohnt, an jeder Milchkanne zu halten. Bis Paramonas gibt es keinen Halt mehr. Als ich ankomme, ist es genau so wie ich es mir vorgestellt habe, genau so wie immer. Es ist ein kleiner, ziemlich ruhiger Strand, keine Party, kein Wasserski. Er ist nach Südwesten ausgerichtet, man schaut auf das weite, offene Meer, es geht immer (wenn ich hier bin) ein auflandiger Wind. Deshalb gibt es auch immer etwas Brandung, deren Rauschen alle anderen Geräusche in den Hintergrund treten lässt. Und die Farben leuchten hier irgendwie intensiver als anderswo. Sollte irgendjemand mal hierher kommen, wird er nach meinen Lobeshymnen vermutlich enttäuscht sein, aber für mich ist es ein magischer Ort. Ich schwimme eine Runde und lege mich noch für einen Moment an den Strand (nicht zu lange, habe doch tatsächlich gestern einen leichten Sonnenbrand bekommen), bevor ich in das Restaurant gehe (gefühlt das einzige). Als Vorspeise gönne ich mir marinierte Sardellenfilets - und dazu ist es mir unmöglich, etwas anderes als Tsipouro zu trinken (ich muss mich wohl langsam rechtfertigen: Zu hause trinke ich weniger). Danach bekomme ich, auf Nachfrage, ein Pastitio, was gar nicht auf der Karte steht. Dieser Auflauf aus Maccheroni, Gehacktem und Bechamel ist eines meiner griechischen Lieblingsessen :) Ich schaue auf die Uhr und muss an ein zweites bewährtes Reisemotto denken: Man soll (weiter)gehen, wenn es am Schönsten ist. Gerne würde ich in der goldenen Nachmittagssonne nochmal an den Strand gehen, aber ich soll weiter, es sind noch gut 60 km bis nach Hause.





So breche ich schweren Herzens wieder auf. Es bleibt aber schön, ich habe das Inselchen ja nicht verlassen :) Durch Olivenhaine komme ich auf kurvigen Sträßchen an die Ostküste, der ich nach Norden folge. Als ich kurz anhalte, um ein Foto zu machen, komme ich mit Timi ins Gespräch. Sie ist Ungarin und hat Geographie studiert. Und weil man davon in Ungarn kaum leben kann, ist sie seit 7 Jahren in Schottland. Sie erzählt mir, dass sie ihre Masterarbeit über irgendwelche buddhistischen Minderheiten in Ungarn geschrieben hat - und dass sie sich im Zuge dessen auch mit den großen Weltreligionen intensiv auseinander gesetzt habe. Allerdings hätten ihre Eltern sie bewusst nicht religiös erzogen, weil sie wollten, dass sie sich selber bewusst für eine Religion entscheidet, wenn sie alt genug dafür sei. Ob das nicht schwierig wäre, frage ich sie. Religion sei ja eher ein Kulturgut, mit dem man aufwachsen, was man von klein auf vermittelt bekommen müsse, um sich darin wiederzufinden. Sie habe in verschiedenen Religionen Aspekte gefunden, die Ihr gefallen, und die würde sie für sich übernehmen. Für einen Moment blicken wir beide nachdenklich aufs Meer. Dann lacht sie: "This is a random conversation, none of us expected.". Wir quatschen noch etwas über Reisen, Essen und den Balkan, bis ich mich verabschiede - ich muss nun wirklich los, wenn ich nicht im Dunklen nach Hause kommen möchte.

Auf dem Rückweg nehme ich noch schnell ein Eis in der Stadt. Den Schlenker gönne ich mir auch noch: Korfu Stadt gilt als eine der schönsten Städte Griechenlands - ich persönlich bin überzeugt, dass es die schönste ist. Die Altstadt ist stark von den Venezianern geprägt und irgendwann waren auch noch die Engländer da und ließen großzügige parkähnliche Grünflächen anlegen. Leider, wie vieles auf Korfu, recht touristisch, aber im Vergleich zu z.B. Dubrovnik doch geradezu authentisch ;) Argos tollt beim Einfahren in die Stadt ausgelassen zwischen den sich stauenden Autos herum. Er ist heute ziemlich leichtfüßig, da wir außer Flickzeug kaum etwas dabei haben. Dann kommt der Heimweg, den ich inzwischen auch mit Argos schon ganz gut kenne. Am Ende waren es rund 115 hügelige, wunderschöne Kilometer.

Morgen ist schon unser letzter Tag auf Korfu. Neben Aufräumen und Packen wird es nochmal ausgiebig Zeit für den Strand geben (soviel gibt es ja gar nicht zu packen). Samstag Morgen geht die Fähre ab Korfu-Stadt nach Venedig, wo wir am Sonntag Morgen ankommen werden. Von dort fahren wir (auf eigenen Rädern) nach Verona, wo wir einen lieben Kollegen treffen, der zufällig auch gerade dort ist. Und am Montag fahren wir mit der Eisenbahn zurück nach Düsseldorf. Die letzten Abenteuer dieser Reise werde ich also wahrscheinlich in einem Beitrag am Dienstag zusammenfassen. Hoffentlich wird es nicht all zu abenteuerlich. Falls doch, kommt vielleicht auch schon früher ein Eintrag :) Nun aber gute Nacht für heute.





3 Kommentare:

  1. Thomas, wunderbar Deine Beschreibung der Inselrundfahrt, fast war ich dabei, so gut kann ich mich an Vieles erinnern. Schade, daß die Lektüre Deiner Tour nun zu Ende gehen, sie zu lesen hat viel Freude bereitet! DANKE und Gruß, Tom

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  2. Lieber Thomas, auch von meiner Seite (unbekannterweise) ein Riesenlob! Wir haben in der Familie und im Freundeskreis deine Reisebeschreibung gelesen und sie hat uns richtig mitgenommen! Mal ganz abgesehen von der fahrerischen Leistung, der über 3000km langen Radstrecke und den damit verbundenen Abenteuern hat mich der Stil Deiner Beschreibung am meisten beeindruckt. Man erlebt die Reise quasi vom Sofa aus mit. Es weckt Fernweh und Abenteuerlust und vor allem liest es sich richtig gut! Es ist ja nicht "nur" eine Fahrradroute gewesen, sondern auch ein Erleben verschiedenster Länder und Kulturen und sowohl die vielen kleinen Begegnungen mit den Menschen unterwegs, als auch die Beschreibung der unterschiedlichen Streckenabschnitte waren wunderbar. Ich finde es könnte sehr gut in Buchform veröffentlicht werden. Vielleicht auch als Diavortrag oder öffentliche Lesung....
    Vielen Dank jedenfalls für diese tolle Lektüre!
    Kirsten

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    1. Hallo Kirsten,

      ganz herzlichen Dank fürs Mitlesen und für Deinen sehr freundlichen Kommentar! Es war wirklich eine tolle Reise - eigentlich die beste, die ich bisher gemacht habe - und ich freue mich sehr dass Ihr das nachfühlen und die Begeisterung teilen könnt :)

      Viele Grüße aus Düsseldorf,

      Thomas

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