Samstag, 15. Juni 2019

Tag 21: Von Pagi (Korfu) nach Ioannina (Epirus)

Die erste Wahrnehmung von heute ist die gleiche, wie die letzte von gestern: Meine Mutter ist auf und packt. Sie ist sehr leise, aber ich habe ihren leichten Schlaf geerbt. Ob sie überhaupt geschlafen hat? Da mein Wecker auch bald klingeln wird, stehe ich auch auf. Die Morgenroutine ist heute anders, als sonst: Meine Eltern reisen heute auch ab und wir wollen recht früh das gleiche Schiff von der Stadt nach Igoumenitsa, zum Festland nehmen. Da Argos und ich etwas langsamer sind, müssen wir schon etwas früher los. Es gibt also nur ein Sparfrühstück und los geht's.

Die letzten Tage auf Korfu waren übrigens sehr erholsam: Aufstehen ohne Wecker, gemächlicher Start in den Tag, etwas zu Hause herumbasteln (auch Argos brauchte etwas Pflege), eine Runde Schwimmen, Tsipouro auf dem Rückweg vom Strand bei Tseni und Giorgos, Abendessen, schlafen - ich hoffe, dies reicht als Beschreibung der Tage 18 - 20. Diese beschaulichen Tage waren genau das, was ich jetzt brauchte :)

Unterwegs bin ich wieder hingerissen, von der Schönheit der Insel. "Wie in der Toskana; vielleicht besser?", denke ich bei mir, und muss sogleich über mich selber schmunzeln: Mit welch anderen Augen man doch eine Gegend sieht, zu der man sich irgendwie verbunden fühlt. Aber es ist wirklich schön.




Eine halbe Stunde bevor das Schiff abfährt, komme ich an. Perfekt, noch Zeit für einen Kaffee. Zehn Minuten vor Abfahrt sind meine Eltern noch nicht da, ich schaue auf mein Handy und tatsächlich habe ich eine Nachricht, dass sie es nicht schaffen und mir eine gute Reise wünschen. Da ich schon fast damit gerechnet hatte, ist Plan B bereits fertig: Ein 2. Frühstück und ein 3. Kaffee in der Stadt. Bei einem Bäcker kaufe ich mir etwas Leckeres und setze mich auf eine Bank am Rathausplatz. Obwohl alle anderen Bänke frei sind, kommt ein Opa (älterer Herr trifft es nicht so recht) und setzt sich zu mir. Kurz danach kommt ein Bekannter gleichen Alters von ihm vorbei, und die Beiden unterhalten sich lauthals - und mich auch. Der eine ist auf dem Weg, sich neuen Tsipouro zu kaufen, der letzte habe ihm nicht geschmeckt. Eine Gruppe Kreuzfahrttouristen wird auch kommentiert: "Wie die Schafe...". Als ich aufstehe, wünsche ich den beiden einen angenehmen Tag, auf Griechisch. "Ahhh, der Fahrradfahrer, was hast Du denn für ein Fahrrad, damit könnte man direkt nach Athen fahren. Hat es Batterien?" - "Siehst Du denn nicht, die Batterien hat er in seinen Beinen.", entgegnet der andere. Dann fangen sie an, anzügliche Witze über eine dritte Batterie zu machen, und ihr Alter zu bedauern, aber das bekomme ich kaum noch mit. Schnell noch einen Kaffee im Bristol, meiner Lieblingsbar auf Korfu. Vorsicht, die Preise sind überzogen und der Service nicht besonders freundlich, aber es ist einfach ein schöner Laden. Dann treffe ich meine Eltern im Hafen und los geht's. Mit meinem Vater beobachte ich das geschäftige Treiben an Land und an Wasser - Hafenatmosphäre ist einfach einmalig.






In Igoumenitsa verabschieden wir uns. Meine Eltern besuchen noch einen Freund in der Nähe, bevor am Abend ihr Schiff nach Italien geht, und ich fahre Richtung Ioannina. Seit ein paar Jahren gibt es eine moderne Autobahn; ich werde die alte Bundesstraße nehmen. Ich habe intensive Erinnerungen an diese Straße: Früher sind wir sie gefahren, wenn wir meine Großeltern besuchen wollten. Damals war es DIE Ost-West-Verbindung durch Griechenland, und dementsprechend war der Verkehr: LKWs auf dem Weg nach Südosteuropa und türkische Familien, die ich immer bedauert habe, weil sie es noch mindestens einen Tag weiter hatten. Die Straße führt durch eine bergige Gegend, es gibt viele Kurven und im Sommer ist es glutheiß. Als Kind habe ich es gehasst, und während meine Schwester es einfach tapfer ertragen hat, wurde ich schon Tage vorher reisekrank. Ich weiß nicht, was mit mir geschehen ist, aber heute liebe ich solche Reisen. Von dem damaligen Verkehr ist freilich nichts mehr übrig: Der Autobahn sei Dank, begegnet mir etwa alle 4 Minuten ein Auto, fast als ob die Straße ein gut ausgebauter Radweg wäre. Allerdings bin ich auch der einzige Radler.

Ich erinnere mich an ein Dorf auf halbem Wege, wo ich vorhabe zu Mittag zu essen. Früher gab es sehr viele Restaurants entlang dieser Straße, die alle gut vom Verkehr leben konnten. Inzwischen sind es spürbar weniger. Manche Orte wirken fast etwas ausgestorben. Wie ich zur Mittagszeit durch die Hitze und grelles Licht fahre, muss ich unwillkürlich an "12 Uhr mittags" denken. Es ist wirklich eine Western-Atmosphäre. In meinem Mittagsort sagt mir der erste Laden irgendwie nicht zu. Ansonsten gibt es noch einen anderen, der aber eher nach Kafeneion (traditionellem Kaffeehaus, was nur von Männern aufgesucht wird) aussieht. Zwei Männer mittleren Alters sitzen bei Bier an einem Tisch, die Wirtin unterhält sich mit ihnen. Ich bleibe vor ihnen stehen. "Hallo." sage ich."Hallo", kommt es dreifach zurück. Die beiden Gäste sehen mich neugierig, die Wirtin etwas irritiert an. "Haben Sie Essen?", frage ich sie. Sie taxiert mich und lässt sich Zeit mit ihrer Antwort: "Es gibt Nudeln mit Kalb". "Schön" lächele ich und setze mich hin. Sie fragt mich noch, woher ich denn käme, was ich mit einem knappen "Gerade aus Korfu." beantworte. Irgendwie habe ich gerade keine Lust zu erzählen, dass ich komplett mit dem Fahrrad hergefahren bin. Auch die beiden anderen Gäste sind aber so neugierig, dass sich am Ende doch ein echtes und nettes Gespräch ergibt. Als ich erzähle, dass ich in die Heimat meiner Mutter fahre, bricht das Eis. Dann kommt auch schon das Essen, und es ist vorzüglich: Ein einfaches, gutes, gut gewürztes Essen, als ob eine Tante eben etwas gekocht hätte. Ich esse mit sichtbarem Appetit und lobe Ihr Essen, woraufhin sie mich direkt fragt, ob ich noch einen Nachschlag möchte. Ich lehne dankend ab, und bestelle stattdessen einen griechischen Kaffee (der gleiche wie der türkische, oder auch arabische...). Prüfend sieht sie mich ruhig an, ohne etwas zu sagen. "Μέτριο." sage ich - mittelsüß - und habe endgültig bestanden.




Continental Gatorskin - hoffentlich kein schlechtes Omen, dass hier einer der robustesten Rennradreifen überhaupt aufgegeben hat



"Langsam - Eis" (steht so auf dem Schild)



Es muss nicht immer Meer sein - der See bei Ioannina

Als ich in Ioannina ankomme, finde ich schnell eine Unterkunft, mache mich fertig und gehe spazieren. Ich war bereits hier, erinnere mich aber nicht mehr so ganz genau, wo alles ist. Ich mag diese Stadt sehr, das fängt schon beim Namen an. Die Stadt liegt im Inland, am Fuße des Pindos-Gebirges, direkt an einem größeren See. Es ist eine mittelgroße Stadt mit einer Universität und einer schönen Altstadt. Insgesamt sieht man hier noch recht stark die Spuren der ottomanischen Besatzungszeit: Die Moschee ist z.B. immer noch erhalten, was in Griechenland weniger häufig ist, als in anderen Balkan-Ländern. Das beste ist, dass es kaum Touristen gibt. Maximal ein paar Natur- oder Kulturbegeisterte, aber die fallen kaum auf - es ist eine sehr authentische Stadt. Ich habe Glück und finde einen tollen Mezedopolio, einen Laden der verschiedene Kleinigkeiten (und auch größere Sachen) anbietet, und der von kultivierten jungen Leuten betrieben wird. Alles sehr liebevoll gemacht und eine interessante Auswahl. Außerdem gibt es heute Abend ruhige Livemusik: Meist alte, traurige und augenzwinkernde Liebeslieder. Ich bestelle mir noch einen Tsipouro und beschließe, den heutigen Eintrag hier zu schreiben. Aber nun ist der Eintrag fertig, man soll gehen, wenn es am schönsten ist, und morgen warten einige Höhenmeter auf mich. Gute Nacht für heute.

2 Kommentare:

  1. Auch wenn Agros gerne von Korfu aus schnell losgesprintet wäre, ist er bestimmt stolz auf seinen Besitzer, der auf seine Eltern wartet.
    Aber auf so tolle Eltern, die einen so selbstlos ziehen lassen, lohnt es sich auch zu warten :)


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    1. Das stimmt allerdings, ich bin sehr froh und dankbar für die Tage, die ich mit ihnen gemeinsam verbringen konnte :)

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