Samstag, 1. Juni 2019

Tag 7: Über den Plöckenpass durch Friaul-Julisch Venetien nach Triest

Heute werde ich von der Sonne geweckt – um 6 Uhr. Obwohl ich nicht wach werden will, werde ich fast etwas hektisch, während ich nach meiner Schlafmaske suche. Als ich sie gefunden habe, bekomme ich nochmal 2 Stunden Schlaf, bis mich der Wecker um 8 Uhr endgültig weckt. Die Schlafmaske ist super.

Als ich zum Frühstück gehe, sehe ich vor dem Eingang ein wirklich spezielles Vehikel: Ein Faltrad mit Rennlenker, Kettenschaltung (105, eine Rennradgruppe), Rennradreifen in geschätzten 24 Zoll und gefederter Schwinge. Drinnen sehe ich dann den Fahrer: Ein Japaner, geschätzt Ende 50, der offenbar von Tokio samt Radl nach Europa geflogen, und alleine von Kroatien nach Österreich gefahren ist. Nun möchte er zurück nach Venedig, von wo er nach Dubai fliegen wird… Wie alle Japaner, die ich bisher erlebt habe, ist er bescheiden und von ruhiger Höflichkeit. Zusammen mit unseren quirligen, immer gut gelaunten Gastgebern geben alle ein schönes Bild ab. Ich unterhalte mich noch mit ein paar italienischen Radreisenden und dem Chef. Letzterer kommt aus Neapel und ist erst seit November in Österreich. Als ich ihn frage, wie es ihm gefalle antwortet er „Wenn die Sonne scheint, ist es gut hier.“ und lacht etwas spitzbübischer als sonst.

Argos Vorderrad wird gerichtet

Ein besonderes Rennrad

Direkt am Ortsausgang beginnt der Plöckenpass. Nur ca. 600 hm, durch schöne grüne Wälder unter blauem Himmel mit ein paar schneebedeckten Gipfeln als Kulisse. Ich werde wirklich gut entschädigt für das buchstäbliche Stochern im Nebel von gestern. Unterwegs werde ich von zwei anderen Rennradlern überholt: Alter Schwede, sie sind die Archetypen eines Radsportlers: Nicht zu groß, geschätzte 1.6 % Körperfett, jede Faser der Beinmuskulatur ist durch die gut gebräunte, eladtische Lederhaut zu erkennen… Argos und ich sehen ihnen mit echter Bewunderung nach. Das sind nicht solche Tölpel wie die beiden Triathleten von Tag 2.





Die sind fit



Direkt im Joch: Ein genialer Platz für ein Windrad


Die Grenze verläuft direkt über das Joch – wir sind in Italien :) Ich bin fast etwas wehmütig. Ein Grenzübertritt ist auch immer ein neuer Abschnitt – und das Ende eines vorherigen. Ich blicke zurück nach Österreich: Hier fühle ich mich immer willkommen, die Österreicher geben mir nie das Gefühl, ein Fremder zu sein. Ob das daran liegt, dass ich mich hier fast immer in den Bergen bewege? Egal, ich mag Österreich einfach. Ich blicke wieder nach vorne, nach Italien: Für dieses Land habe ich eine unerklärliche Schwäche. Das Temperament, der Sinn für Schönes, die Sprache… Es ist alles, und ich bedaure, dass ich zunächst nur einen Abend hier haben werde. Aber ich freue mich.

In einem der nächsten Orte nehme ich einen Caffè in einer Bar. Als ich bezahle komme ich mit Fabrizio ins Gespräch, einem Scherenschleifer. Wir sprechen zuerst über Sprachen, bis er mich irgendwann fragt, was ich beruflich mache. „Sono ingegnere“, sage ich. Ehrfurchtsvoll blickt er mich an, dass es mir direkt etwas unangenehm ist. Währendman in Deutschland zuweilen für einen Schlosser mit Abendschule gehalten wird, ist Ingenieur in Italien eine große Sache. Wir verabschieden uns mit Handschlag und wünschen uns alles Gute als ich weiter fahre.



In Tolmezzo esse ich zu Mittag – eine vorzügliche Pizza – und plötzlich fällt mir auf, dass es schon fast 15 Uhr ist. Und ich habe noch knapp 100 km vor mir. Jetzt aber Schluss mit den ständigen Pausen, Head down and hammer! Es geht ständig leicht bergab, ich liege in en Aerobars und wir fliegen Triest entgegen. Vorbei an Gemona, Udine, Clauiano – alles Orte, die mich an die Tour vor 2 Jahren mit Reinhold erinnern. Ich würde gerne anhalten und mich etwas umsehen, aber bin streng mit mir selbst, weil ich nicht zu spät ankommen möchte. Irgendwann schaue ich nach rechts und sehe zum ersten Mal das Meer. Ein erhabener Moment – ich bin mit dem Fahrrad zum Mittelmeer gefahren – von Zuhause – verrückt. Hat ja auch lange genug gedauert, den 7. Tag bin ich nun unterwegs. Eigentlich ist das Radeln eine ziemlich ehrliche Form des Reisens, es „beamt“ einen nicht einfach in eine andere Welt, was mich manchmal überfordert. Und es gibt einem ein gutes Gefühl, was Entfernung wirklich bedeutet: Wie viele Sprachen, wie viele Dialekte werden zwischen zwei Orten gesprochen? Es liegt mehr dazwischen, als die bloße Zahl der Kilometer, die mit zunehmender Reisegeschwindigkeit immer abstrakter wird.

In Triest gehe ich in das Restaurant, was mir der Herr an der Rezeption empfohlen hat. Er machte im Gespräch einen guten Eindruck auf mich, und seine Empfehlung war schließlich auch gut. Ich nehme das volle Programm: Antipasto, Primo, Secondo, Dolce, Caffè. Dann mache ich einen Spaziergang und schreibe bei einem Negroni diese Zeilen.

Heute habe ich es vielleicht etwas übertrieben: Meine Oberschenkel fühlen sich anders an, als die letzten Tage. Die Straße nach Triest ist eine Rennbahn, das war auch mit Reinhold schon so. Hoffentlich wird der Muskelkater nicht so schlimm. Schlimmstenfalls gibt's einen Ruhetag :) Ansonsten geht es morgen nach Senj (Kroatien).
Gute Nacht für heute.








Der erste Blick auf das Meer

Ist das nicht ein Traum? Da muss man doch die Schenkel glühen lassen :)




Immer eine gute Gesellschaft: Signor Negroni. Prost Reinhold :)

6 Kommentare:

  1. Hallo Herr Ceyrowsky, eine tolle erste Woche die Sie da beschrieben haben. Die morgendliche Lektüre Ihrer Berichte machen riesigen Spaß und die Bilder sind klasse. Bei Ihrem Programm kommen mir meine wöchentlichen 200 - 250 km schon ein wenig bescheiden vor ;-). Weiterhin gute Beine, einen treuen Argos und bleiben Sie gesund. Viele Grüße Dieter Deckenbach

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    1. Hallo Herr Deckenbach, vielen Dank :) Viele Grüße aus Senj (Kroatien)!

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  2. Prost Thomas! Der beste Drink der Welt sei dir gegönnt!
    Weiterhin gute Beine!

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    1. Danke Reinhold! War sogar "unsere" Bar (mit den vielen Sorten Wermut) :)

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  3. Wirklich eine tolle Panoramastrasse

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    1. Oder?! Das ist wirklich was anderes als die niederrheinische Tiefebene :)

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