Samstag, 6. Juli 2019

Tag 30: Von Venedig über Vicenza nach Verona

Die Nacht auf dem Schiff war prima - zum schlafen ist eine fensterlose Kabine doch bestens geeignet. Dementsprechend werde ich vom Wecker geweckt, den ich schnell abstelle, um meine Kabinengenossen nicht zu stören. Kurz denke ich daran zu duschen, verwerfe es aber in Anbetracht der engen Dusche mit Vorhang schnell wieder. Gestern war ja kein so anstrengender Tag... Also ziehe ich mir noch im Bett liegend, im Dunklen meine Fahrradsachen an, und verlasse schnell die Kabine. Das Schiff ist schon in der Lagune und fährt durch ein enges Fahrwasser in Richtung Mestre, bald werden wir da sein. Ohne viel darüber nachzudenken, bestelle ich an der Bar einen Cappuccino und einen Toast (Kochschinken-Käse - DER griechische Snack). Erst als ich an meinem etwas faden Kaffee nippe, wird mir bewusst, dass ich gleich in Italien sein werde - Italien, dem Land, wo man an jeder abgeranzten Provinztankstelle vorzüglichen Kaffee bekommt. Dann muss ich eben mehr Caffè trinken :) Schnell packe ich in der Kabine meine Sachen und dann legt das Schiff auch schon an. Ich bastele die Taschen wieder an Argos, der die Nacht mit den anderen Fahrrädern in einer Art Käfig im Bauch des Schiffes verbracht hat, und schon verlassen wir das Schiff - und betreten italienischen Boden.

Beim Verlassen des Schiffs

Ein letzter Blick auf die "Hellenic Spirit"
Allerdings sieht es hier erstmal nicht ganz so aus, wie wir italophilen Deutschen es uns gemeinhin romantisierend vorstellen: Der Hafen ist, nun ja, eben ein Hafen, und dahinter schließt sich direkt ein Industriegebiet an. "Ziemlich grün alles", ist mein erster Eindruck. Es sieht schon fast nicht mehr subtropisch aus. Sommerlich zwar, aber eher gemäßigt. Ich bin etwas enttäuscht, sehe ich doch das von mir so verehrte Italien gerade mit anderen Augen. "Na komm, Du bist in einem Industriegebiet.", sage ich mir, und creme mich bei der ersten Gelegenheit mit Sonnencreme ein. Dann geht es weiter, und siehe, Italien, was mich noch nie im Stich gelassen hat, zeigt mir wieder sein schönes Gesicht: Das Industriegebiet ist vorbei und es wird ländlich und grün, bis wir in den nächsten Ort kommen. Hier gibt es ein paar kleine Kanäle, ähnlich wie in Venedig, und plötzlich sehe ich vor einer Bar ein paar Rennräder. Das Schicksal lädt mich zu einem zweiten Frühstück ein - und ich nehme gerne an. Die Rennräder gehören ein paar älteren Herren, die ihre sonntägliche Ausfahrt mit einem Caffè und ein paar Brioche (meist gefüllte Croissants) krönen. Ich hoffe inständig auf Tramezzini - sehr dünne, sehr weiße, nicht geröstete Toastbrotscheiben ohne Rand, die es mit verschiedenen Belägen / Füllungen gibt. Eigentlich geht es nur um den Belag, und das "Brot" ist nur da, um sich die Finger nicht schmutzig zu machen. Ich liebe Tramezzini, weil sie seit jeher jeglicher wohlmeinenden Gesundheits- und Ernährungshysterie trotzen (pures Weizenmehl, die Füllung manchmal etwas fettig) - und einfach unglaublich lecker schmecken :) Und wieder einmal meint Italien es gut mit mir: Es gibt Tramezzini und sie schmecken köstlich.

Die mutmaßlichen Sieger der Giri d'Italia 1979 - 1982 beim Frühstück

Eine ungewöhnliche Bauform, aber es sind Tramezzini (mit Kochschinken und Pilzen bzw. Thunfisch)
Als ich weiterfahre, wird mir bewusst, wie unglaublich viele Rennradler mir entgegen kommen. Vielleicht ist dieser Sport in Italien noch populärer als in Deutschland? Jedenfalls macht es ziemlich Laune, viele Gleichgesinnte zu treffen. Die allermeisten sind schon ältere Semester und gehen es nicht besonders verbissen an. Aber zu sehen, wie sie am Sonntagmorgen mit ihren alten Schätzchen unterwegs sind, einfach weil sie es schon seit Jahrzehnten so tun, bereitet mir Freude. Die Landschaft sieht zum Teil immer noch ein bisschen aus wie das Münsterland, aber dort ist es ja bekanntermaßen auch schon fast etwas italienisch ;)

Das ist nicht der Emsradweg...

...und dies ist nicht die Ems.


Kurz hinter Padua (weit sind wir also noch nicht gekommen), fällt mir in einem Ort eine sehr schöne Pasticceria (eine Konditorei) auf. Ob das Schicksal möchte, dass ich ein drittes Frühstück nehme? Ich überschlage kurz meinem Kalorienbilanz der letzten Wochen und komme zu dem Ergebnis, dass vermutlich keine akute Gefahr für Übergewicht besteht. Na dann... :) Ich entscheide mich für ein vorzügliches Blätterteigteilchen mit einer Füllung aus Pistaziencreme - köstlich. Vor lauter Begeisterung teile ich das Erlebnis per Whatsapp mit meinem Freund Jan, der das Glück hat, mit Dani, einer echten Italienerin verheiratet zu sein. "Du solltest noch ein Eis nehmen!", schreibt er mir umgehend zurück. Er hat Recht, und tatsächlich gibt es sogar Eis. "Man soll die Feste feiern wie sie fallen.", denke ich, und esse noch ein Pistazieneis, mit vielen kleinen Stücken echter Pistazien. Hmmm :)



Nun geht es weiter in Richtung Vicenza. Es liegt auf unserem Weg nach Verona, und da ich bisher noch nie dort war, möchte ich einen kleinen Zwischenstopp machen. Als wir ankommen ist es Mittagszeit, und weil heute auch noch Sonntag ist, flanieren in der Stadt schon einige Menschen. Mein erster Eindruck von Vicenza ist positiv: Wie in der überwiegenden Mehrzahl der Städte Norditaliens ist der Stadtkern auch hier wunderschön, mit vielen vielen Renaissance-Bauten. Auf Wikipedia lese ich, dass Vicenza eine der reichsten Städte Italiens sei - klingt glaubwürdig. Mein zweiter Eindruck ist sehr positiv: Es sind kaum Touristen unterwegs. Eigentlich klar: die meisten zieht es ins nah gelegene Venedig, einige ins benachbarte Padua, und viele nach Verona. Ich selbst bin ja auch zum ersten Mal hier. Und es lohnt sich. Ich binde Argos gegenüber einer Bar an und mache einen kleinen Spaziergang. Auf dem zentralen Platz, der Piazza dei Signori, gibt es eine nette Veranstaltung für Kinder und ich schaue kurz zu, wie ein paar Bambini mit Tretautos um die Wette fahren. Dann lasse ich mich durch die Gassen treiben, besuche eine Kirche und finde einen interessanten Laden mit ausgefallenen Panini. Irgendwann nehme ich noch ein Eis, aber dann erinnere ich ich an den treuen Argos, der immer noch auf mich wartet - Zeit wieder weiter zu fahren.


Kurz vor Vicenza: Im Hintergrund die Alpen




Automobile Schönheiten gehören in Italien einfach dazu - leider noch verhüllt







Tolle Panini. Und natürlich ist es keine Cola sondern Chinotto - Bitterorangenlimonade


Vicenza liegt fast auf halbem Weg nach Verona, aber ab jetzt fühlt es sich so an, als ob wir schon fast da wären. Ob das daran liegt, dass ich nun nicht mehr alle 15 km eine Essenspause mache? Egal. Die Landschaft wird allmählich hügelig und die Felder gehen immer mehr in Weinberge über, während die Nachmittagssonne alles mit ihrem weichen, goldenen Licht begießt. Es ist wunderschön, und ich werde etwas wehmütig, als mir bewusst wird, dass diese die letzten Kilometer dieser langen Reise auf Argos sein werden. Als ich daran denke was vor mir liegt, daran dass ich morgen Abend voraussichtlich zu Hause sein werde, erscheint es mir fast unwirklich. Wenn ich aber zurück denke, an die Tage, ja Wochen im Sattel, erscheint mir auch das unwirklich. "Vielleicht ist es manchmal das beste im Hier und Jetzt zu bleiben.", denke ich mir, und genieße die Umgebung. Fruchtbares, liebliches Land wechselt sich mit kleinen, namenlosen aber sehr schönen Örtchen ab.





Als ich schon in den Außenbezirken von Verona bin, nehme ich in einer Pasticceria noch einen letzten Caffè und ein ganz köstliches Mandelgebäck, bevor ich bei Tobias, Barbara und Paula ankomme. Tobias und ich sind Kollegen, und zufällig verbringen die drei gerade ein paar Tage hier. Als uns vor der Abreise bewusst wurde, dass wir an diesem Tag zusammen in Verona sein würden, haben sie mich sofort eingeladen, in ihrer Ferienwohnung zu übernachten - sehr nett :) Inzwischen ist es auch schon wieder ein paar Tag her, dass ich meine Eltern gesehen habe, und es ist schön, ein paar Gesichter aus der Heimat zu sehen. Paula sehe ich allerdings zum ersten Mal - sie ist erst ein halbes Jahr alt: Ein robustes, gut gelauntes Baby, was lacht wenn man es kitzelt, Grimassen schneidet, oder es anlacht :) Abends machen wir einen kleinen Spaziergang durch die Stadt. Verona ist wesentlich voller als Vicenza, aber auch sehr schön. Wir finden ein nettes Restaurant, in dem es reichlich Pferd und Esel auf der Karte gibt. Ich erinnere mich daran, dass in dieser Gegend viel Pferd gegessen wird... Diesmal beschränken wir es aber auf ein Minimum: Lediglich eine Eselsalami als Vorspeise, ansonsten kommt kein Pferd auf die Teller - und es schmeckt trotzdem. Als wir wieder zu Hause sind, bin ich ziemlich müde. Als Paula noch einmal aufwacht, bekomme ich es kaum mit - und bewundere dann Tobi und Barbara, die sicherlich auch müde sind, aber sich natürlich um ihre Tochter kümmern. Ob junge Eltern irgendwelche besonderen Hormone haben, die sie irgendwie aufputschen? Ich wünsche es den beiden, wie ich schlaftrunken in meinem Bettchen liege.

Morgen früh gegen 9 Uhr werden wir gemeinsam vom Bahnhof abfahren. Die drei nach Mailand und ich über München nach Düsseldorf. Es ist eine ziemlich gute Verbindung (weniger als 12 Stunden), aber Argos und ich sind längere Stand- bzw. Sitzzeiten nicht mehr gewohnt. Mal sehen, wie es wird. Gute Nacht für heute.

Mit Tobias, Barbara und Paula in Verona

Sonntag, 30. Juni 2019

Tag 29: In die Stadt und mit der Fähre in Richtung Venedig

An diesem Tag klingelt der Wecker um 4 Uhr morgens. Am Vorabend hat mal wieder alles etwas länger gedauert, so dass dies eine recht kurze Nacht war. Ich bin aber doch froh, dass ich endlich aufstehen darf - ich konnte überhaupt nicht schlafen. Als ich mir die Zähne putze, wird mir dann doch anhand einiger sehr unangenehmer und realitätsnaher Träume bewusst, dass ich doch geschlafen haben muss. Aber jetzt ist nicht die Zeit darüber nachzudenken. Eine halbe Stunde nachdem der Wecker geklingelt hat fahren Argos und ich los - ein Rekord auf dieser Reise, dem aber auch Frühstück und sogar Kaffee geopfert wurden.

Anfangs ist es noch völlig finster und es ist praktisch noch niemand auf den kleinen Straßen, die wir zunächst nehmen, unterwegs. Im nächsten Dorf tut sich dann doch etwas: Verführerisch duftet es aus einer gleißend hell erleuchteten Backstube. Offenbar gibt es keinen Verkaufsraum und so ist mir noch nie aufgefallen, dass hier gebacken wird. Jedenfalls schaue ich die Bäcker genau so überrascht an, wie sie mich. Als wir weiter in Richtung der Stadt kommen, sind etwas mehr Menschen unterwegs, aber insgesamt ist es doch noch sehr ruhig. Dafür tut sich im Osten etwas: Das Schwarz des Nachthimmels verwandelt sich ganz langsam in Dunkelblau und bald ist auch schon die zarte Morgenröte dabei. Als Langschläfer sage ich mir oft, dass Sonnenuntergänge genau so schön seien, aber es ist doch nicht das selbe: Zu dieser Jahreszeit schlafen bei Sonnenaufgang fast alle; man hat ihn ganz für sich alleine und es ist eine wunderbare, friedliche Stimmung. Und es ist eben doch etwas anderes, wenn die Sonne uns einen neuen, hoffnungsvollen und reinen Tag bringt, als wenn sie uns in die Nacht entlässt.

Ein neuer Tag beginnt


Die aktuelle Flaggschiff von Greenpeace im Hafen von Korfu: Die Rainbow Warrior III



Und da kommt die Sonne
Unterwegs komme ich bei "Emeral" vorbei, einer Bäckerei und Konditorei, die eigentlich schon früh öffnet, aber um viertel nach fünf sehe ich noch nicht mal Angestellte im Laden. Im Hafen checke ich erstmal ein, aber es sind noch 2 1/2 Stunden Zeit bis das Schiff abfahren soll (es ist noch nicht einmal da). Gottseidank finde ich in der Nähe einen Bäcker, der doch schon geöffnet hat, so dass ich an der Hafenmole mit Frühstück das Finale des Sonnenaufgangs genießen kann.

Als die Sonne dann da ist, geht es plötzlich ziemlich schnell: Es wird sofort warm und sehr hell. Ich spaziere ein wenig zwischen den Autos umher und sehe mir meine Mitreisenden an: Junge Familien mit kleinen Kindern, Rentner, ein paar Motorradfahrer. Noch Vorsaison. Als das Schiff kommt, beginnt das übliche Durcheinander: Die Parkanweiser von der Fähre rufen lauthals und wild gestikulierend ihre Anweisungen, die Fahrer schauen nervös hin und her, einige Passagiere haben noch etwas in den Autos vergessen, aus dem Inneren des Schiffes schwallen Hitze und Lärm, es riecht nach Diesel und Abgasen: Der Inbegriff einer Sommerferienreise - Herrlich :)

Ein "Flying Dolphin", ein Tragflächenboot

Der 900 m lange Anleger für Kreuzfahrtschiffe...



Schon an der Rezeption wird es aber wieder zivilisierter. Es dauert nicht lange bis mich ein altmodisch höflicher Steward zu "meiner" Kabine führt: Ich habe ein Bett in einer innenliegenden 4er Kabine gebucht. Zwei Betten sind bereits belegt, und meine Zimmergenossen wachen kurz auf, als das Licht angeht. Schnell werfe ich meine Sachen aufs Bett und gehe sofort wieder an Deck, denn ich möchte noch ein paar letzte Blicke auf Korfu, Griechenland und Albanien werfen. Ungefähr 3 Stunden lang sieht man noch die Küste, bis sich hinter der Straße von Otranto das Ionische Meer in die Adria aufweitet, und das Land außer Sicht gerät.So lange bleibe ich an Deck und mein Blick wechselt immer wieder zwischen Korfu und der "albanischen Riviera", die ich nun mit anderen Augen sehe, als so viele Male zuvor.

Blick auf Saranda

Erkennt man die Südseite des Llogara-Pass?

Und ein letzter Blick auf das liebe Korfu



Als das Land nicht mehr zu sehen ist, spüre ich langsam, dass es doch eine kurze Nacht war, und gehe für einen Mittagsschlaf in die Kabine. Die Beiden anderen Schlafmützen liegen immer noch in ihren Kojen. Ich schlafe für 2 Stunden und als ich aufstehe, liegt der Typ unter mir immer tatsächlich immer noch in seinem Bett und schaut irgendetwas auf seinem Tablett. "Jeder wie er meint", denke ich mir, und beeile mich, wieder an Deck zu gehen. Inzwischen ist der Himmel etwas zugezogen, aber es ist immer noch wesentlich besser als in der dunklen Kabine. Ich spaziere über das gesamte Schiff, staune über die Menschen, die rauchend vor den Spielautomaten sitzen und setze mich schließlich wieder an Deck, wo ich meine Mitreisenden betrachte. Ich mag das Reisen mit der Fähre: Es werden einem 25 Stunden geschenkt, in denen man in der Sonne sitzen, etwas lesen, oder gar nichts tun kann. Und nicht viel mehr. Zwischendurch esse ich im Restaurant, unter anderem ein vorzügliches Arakas, einen Erbseneintopf mit Tomate, Möhren, Dill und Olivenöl, nehme einen Frappé und gönne mir am Abend an der Bar noch ein letztes Fix. Irgendwann, kurz nach Sonnenuntergang, tauchen nochmal ein paar Inseln auf. Mein Handy verrät mir, dass dies Sveti Andrija und Bisevo sind, vor der Küste Dalmatiens. Von hier aus hatte ich noch 6 Fahrradtage bis Korfu, die Fähre brauchte rund 14 Stunden... Trotz dieses gemütlichen Tages werde ich irgendwann müde und gehe wieder zu meinen Stubenhocker-Kabinengenossen, wo ich ziemlich schnell in einen tiefen Schlaf falle.

Am folgenden Tag werden Argos und ich von Venedig über Vicenza nach Verona fahren, und dort den lieben Kollegen Tobias samt lieber Familie treffen. Das ist mir nochmal einen extra Eintrag wert, den ich aber noch nicht für morgen versprechen kann: Inzwischen bin ich tatsächlich wieder zu Hause und der Alltag hat mich wieder. Dazu wird es vielleicht auch noch ein paar Gedanken geben :) Aber nun gute Nacht für heute.




Bisevo, dahinter Vis

Sveti Andrija

Freitag, 21. Juni 2019

Tag 27: Eine Runde nach Paramonas

Heute lasse ich mich nicht vom Wecker wecken. Als ich aufstehe ist es halb zehn, auch mal schön. Das Frühstück besteht zwar nur aus einer Orange und einem Kaffee (ich habe es irgendwie nicht hinbekommen einzukaufen) aber bis ich loskomme, ist es schon 11 Uhr. Ich mache alles ziemlich gemütlich. Heute  machen wir einen Ausflug nach Paramonas. Es ist ein kleiner Strand im Südwesten der Insel, und aus irgendeinem Grund gehört bei jedem Korfu-Aufenthalt dieser Ausflug dazu. Unterwegs haben sich im Laufe der Zeit auch ein paar Stationen angesammelt, wo wir stets eine Pause machen, um einen Kaffee zu trinken oder die Aussicht zu genießen. Es ist eine Tradition und dieser Tag heißt Paramontag (auch wenn er auf einen Donnerstag fällt).

Zuerst geht es von unserem Dorf etwa 200 hm den Berg hinauf. Oben gibt es einen Aussichtspunkt, von dem man die gesamte Bucht, die vorgelagerten Inseln und Albanien sehen kann. Es halten oft Touristen dort, und auch jetzt sind welche da. Eine Dame mitte sechzig fragt mich, ob die Aussicht den Weg hoch Wert gewesen sei. So komme ich mit Ihr und ihrem Sohn, der etwa in meinem Alter ist, ins Gespräch. Die beiden sind Australier, und wie ich dem Gespräch entnehme, sind sie nicht zum ersten Mal in Europa. Dann erfahre ich, dass der Sohn früher einmal ein sehr ambitionierter Amateurradsportler war. Er ist sogar in seinen frühen Zwanzigern bei ein paar größeren Rennen mitgefahren (Tour of Greece, Tour of the Netherlands). In seinen besten Zeiten kam er wohl auf fast 1000 Trainingskilometer pro Woche - was mir absurd viel für einen Amateur scheint. Dennoch ist ihm der Sprung zum Profi nicht geglückt - durch die Blume habe man ihm zu verstehen gegeben, dass es ohne Doping nicht weiter ginge. Und das habe er auch gemerkt - ein paar Tage konnte er bei den Rennen mithalten, aber irgendwann war es einfach vorbei, die Belastung ist schlicht zu hoch, der Körper kann sich nicht schnell genug erholen. Als ihm das bewusst wurde, hat er das Radfahren aufgegeben. Ich zweifle nicht an seinen Worten. Ich finde es nur schade für ihn, dass er es deswegen ganz aufgegeben hat.


Nun geht es nur für ein paar Kilometer weiter nach Angelokastro. Es ist eine alte Festung (aus byzantinischer Zeit?) auf einem Felsen über dem Ionischen Meer. Eigentlich gibt es von der Burg nicht mehr viel zu sehen - aber die Aussicht ist einmalig. Ich war aber schon oft oben, und weil ich heute noch etwas mehr Weg vor mir habe, fahre ich nur bis zum Fuße des Felsens und mache das obligatorische Bild.




Dann geht es wieder weiter. Die Straße von Angelokastro hinunter nach Paleokastritsa ist wunderschön - eine Miniatur der Amalfitana. Dementsprechend ist es auch ziemlich touristisch. Dennoch halte ich bei einem vertrauenerweckenden Laden und frühstücke: Eine unterdurchschnittliche Spinatpita und ein wirklich schlechtes Croissant. Immerhin wirkt insbesondere Letzteres ziemlich hochkalorisch. Und ein Energiegel schmeckt bestimmt auch nicht besser... Also geht es geschwind weiter nach Paleokastritsa und dann Richtung Süden. Wir kommen nun durch kleinere Ortschaften im Inland, die sofort weniger touristisch sind. Bald bin ich auch schon beim nächsten Haltepunkt: Ein einfaches Café, wo man nett unter Bäumen sitzt, aber kaum etwas los ist. Nach einem Orangensaft geht es weiter. Mir fällt auf, dass man auf den kleinen kurvigen Straßen kaum langsamer ist, als mit dem Auto. Der nächste Stop ist Pelekas, wohl ein ehemaliger Hippie-Ort. Auf einem Hügel gibt es einen schönen Aussichtspunkt, von dem man aus bis zur Stadt und zum Festland schauen kann. Immer wieder schön.







Nun muss ich aber wirklich mal weiter, ich bin es nicht gewohnt, an jeder Milchkanne zu halten. Bis Paramonas gibt es keinen Halt mehr. Als ich ankomme, ist es genau so wie ich es mir vorgestellt habe, genau so wie immer. Es ist ein kleiner, ziemlich ruhiger Strand, keine Party, kein Wasserski. Er ist nach Südwesten ausgerichtet, man schaut auf das weite, offene Meer, es geht immer (wenn ich hier bin) ein auflandiger Wind. Deshalb gibt es auch immer etwas Brandung, deren Rauschen alle anderen Geräusche in den Hintergrund treten lässt. Und die Farben leuchten hier irgendwie intensiver als anderswo. Sollte irgendjemand mal hierher kommen, wird er nach meinen Lobeshymnen vermutlich enttäuscht sein, aber für mich ist es ein magischer Ort. Ich schwimme eine Runde und lege mich noch für einen Moment an den Strand (nicht zu lange, habe doch tatsächlich gestern einen leichten Sonnenbrand bekommen), bevor ich in das Restaurant gehe (gefühlt das einzige). Als Vorspeise gönne ich mir marinierte Sardellenfilets - und dazu ist es mir unmöglich, etwas anderes als Tsipouro zu trinken (ich muss mich wohl langsam rechtfertigen: Zu hause trinke ich weniger). Danach bekomme ich, auf Nachfrage, ein Pastitio, was gar nicht auf der Karte steht. Dieser Auflauf aus Maccheroni, Gehacktem und Bechamel ist eines meiner griechischen Lieblingsessen :) Ich schaue auf die Uhr und muss an ein zweites bewährtes Reisemotto denken: Man soll (weiter)gehen, wenn es am Schönsten ist. Gerne würde ich in der goldenen Nachmittagssonne nochmal an den Strand gehen, aber ich soll weiter, es sind noch gut 60 km bis nach Hause.





So breche ich schweren Herzens wieder auf. Es bleibt aber schön, ich habe das Inselchen ja nicht verlassen :) Durch Olivenhaine komme ich auf kurvigen Sträßchen an die Ostküste, der ich nach Norden folge. Als ich kurz anhalte, um ein Foto zu machen, komme ich mit Timi ins Gespräch. Sie ist Ungarin und hat Geographie studiert. Und weil man davon in Ungarn kaum leben kann, ist sie seit 7 Jahren in Schottland. Sie erzählt mir, dass sie ihre Masterarbeit über irgendwelche buddhistischen Minderheiten in Ungarn geschrieben hat - und dass sie sich im Zuge dessen auch mit den großen Weltreligionen intensiv auseinander gesetzt habe. Allerdings hätten ihre Eltern sie bewusst nicht religiös erzogen, weil sie wollten, dass sie sich selber bewusst für eine Religion entscheidet, wenn sie alt genug dafür sei. Ob das nicht schwierig wäre, frage ich sie. Religion sei ja eher ein Kulturgut, mit dem man aufwachsen, was man von klein auf vermittelt bekommen müsse, um sich darin wiederzufinden. Sie habe in verschiedenen Religionen Aspekte gefunden, die Ihr gefallen, und die würde sie für sich übernehmen. Für einen Moment blicken wir beide nachdenklich aufs Meer. Dann lacht sie: "This is a random conversation, none of us expected.". Wir quatschen noch etwas über Reisen, Essen und den Balkan, bis ich mich verabschiede - ich muss nun wirklich los, wenn ich nicht im Dunklen nach Hause kommen möchte.

Auf dem Rückweg nehme ich noch schnell ein Eis in der Stadt. Den Schlenker gönne ich mir auch noch: Korfu Stadt gilt als eine der schönsten Städte Griechenlands - ich persönlich bin überzeugt, dass es die schönste ist. Die Altstadt ist stark von den Venezianern geprägt und irgendwann waren auch noch die Engländer da und ließen großzügige parkähnliche Grünflächen anlegen. Leider, wie vieles auf Korfu, recht touristisch, aber im Vergleich zu z.B. Dubrovnik doch geradezu authentisch ;) Argos tollt beim Einfahren in die Stadt ausgelassen zwischen den sich stauenden Autos herum. Er ist heute ziemlich leichtfüßig, da wir außer Flickzeug kaum etwas dabei haben. Dann kommt der Heimweg, den ich inzwischen auch mit Argos schon ganz gut kenne. Am Ende waren es rund 115 hügelige, wunderschöne Kilometer.

Morgen ist schon unser letzter Tag auf Korfu. Neben Aufräumen und Packen wird es nochmal ausgiebig Zeit für den Strand geben (soviel gibt es ja gar nicht zu packen). Samstag Morgen geht die Fähre ab Korfu-Stadt nach Venedig, wo wir am Sonntag Morgen ankommen werden. Von dort fahren wir (auf eigenen Rädern) nach Verona, wo wir einen lieben Kollegen treffen, der zufällig auch gerade dort ist. Und am Montag fahren wir mit der Eisenbahn zurück nach Düsseldorf. Die letzten Abenteuer dieser Reise werde ich also wahrscheinlich in einem Beitrag am Dienstag zusammenfassen. Hoffentlich wird es nicht all zu abenteuerlich. Falls doch, kommt vielleicht auch schon früher ein Eintrag :) Nun aber gute Nacht für heute.