Samstag, 8. Juni 2019

Tag 15: Sightseeing in Tirana

Heute klingelt der Wecker erst um 9, und doch war die Nacht nicht übertrieben lang – gestern war es schon wieder viel zu spät. Ob ich es heute schaffe, meinen Rhythmus etwas nach vorne zu verschieben? Ich ziehe mein Ausgehoutfit an, zum ersten Mal seit zwei Wochen morgens keine Fahrradklamotten. Dann muss ich in das Büro, was mein Zimmer vermietet, um den zusätzlichen Tag nachzuzahlen. Brikena (ein sehr albanischer Name, wie sie selber sagt) gibt mir noch ein paar Tips für die Stadt und dann stürze ich mich ins Gewimmel.

Irgendwo habe ich gelesen, dass die albanische Küche stark von der türkischen inspiriert sei; dementsprechend ist mein Frühstück, was ich mir bei einem Bäcker kaufe, ganz ähnlich wie in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien (ohne KuK-Einflüsse – keine Buchteln), oder in Griechenland: Blätterteig gefüllt mit Spinat und Käse, lecker. Danach nehme ich einen Kaffee in einem schon mittelmäßig stylischen Laden. Die restlichen Gäste sind zwar Einheimische, wirken aber durchweg gut situiert. Ich bin in Bloku, dem Viertel, in dem früher die kommunistische Herrscherelite lebte, abgeschirmt mit allen möglichen Privilegien. Heute treffen sich dort immer noch die Privilegierten – ich sehe neueste Range Rover, große Mercedes, den einen oder anderen Porsche. Durchgestylte Bars und Cafés, wie ich es z.B. aus Athen kenne. Direkt daneben sitzen hier und da ältere einfache Leute, offenbar vom Land, und verkaufen am Bordstein Maulbeeren, frische Kräuter, Gemüse… Ein steiler Gradient. Ich lasse mich treiben und komme in den Nationalgarten. Sehr weitläufig, mancherorts gepflegt, wie ein botanischer Garten, anderenorts wilder, eher wie ein Wald. Es gibt einen deutschen und einen Soldatenfriedhof des Commonwealth. Aus historischer Sicht sind die einen für eine schlimme Idee, die anderen für eine gute Sache gestorben. Aber am Ende haben alle ihr Leben gegeben in einem absurden Krieg. Manche vielleicht aus Überzeugung, die meisten vermutlich ohne Wahl. Ich gedenke ihrer armen Seelen – sogar die höheren Offiziere waren meist jünger als ich.







Ein griechischer Sänger - auch in Albanien populär










Was mir sehr gut gefällt ist, dass der Park sehr gut von der Bevölkerung angenommen wird: Überall flanieren Leute, spielen Ball, machen Picknick, Sport… Ich frage mich, ob es das zu Zeiten des kommunistischen Regimes auch schon gab. Die Albaner scheinen wirklich sehr aufgeschlossen gegenüber Neuem zu sein. Nachdem ich den Park wieder verlassen habe, gehe ich in den östlichen Bereich der Innenstadt. Viele junge Leute, aber weniger geschniegelt, als in Bloku. Etwas alternativ. Ich bin im Universitätsviertel gelandet. Leider verstehe ich nicht, welche Institute in den Gebäuden beheimatet sind, aber es ist doch ein anderes, sympathisches Gesicht von Tirana.

Wie ich bereits schrieb, hatte Enver Hoxha unzählige Bunker bauen lassen. Auch in Tirana, für die Regierung. Zwei davon sind zu Museen umgebaut „Bunker Art 1“ und „2“. Einen davon besichtige ich: Den ehemaligen Bunker des Innenministers. In den einzelnen Räumen wird die Geschichte der Polizei des modernen Albanien (also seit der Befreiung von den Ottomanen 1912) dargestellt. Zuerst denke ich mir nichts dabei, aber schließlich wird mit schonungsloser Offenheit das Vorgehen der „Sigurimi“, der Geheimpolizei des repressiven Regimes, offen gelegt. Ich wusste, dass Albanien vom Ende des 2. Weltkrieges bis 1991 völlig isoliert war, aber hatte nie darüber nachgedacht, dass Menschen sich nicht freiwillig isolieren lassen. Die Sigurimi haben das kommunistische Regime „geschützt“ – durch Verfolgung politisch Andersdenkender, Arbeitslager, Spitzel, Denunziantentum, Folter, Überwachung… Ich bin beeindruckt von der Offenheit, mit der die Vergehen gezeigt werden. Das alles in der düsteren Bunkeratmosphäre ist ziemlich beklemmend – ich bin froh, als ich nach 2 Stunden wieder in die gleißende Nachmittagssonne trete. Ich schaue mir auch sehr gerne Kirchen an, aber weil das kommunistische Regime die allermeisten hat schleifen lassen, gibt es in dieser Hinsicht nicht viel zu sehen. Eine orthodoxe Kirche, die aber erst 2011 fertig gestellt wurde – irgendwie ist das nicht das Gleiche.

Ich esse schnell eine Spanakopita (griechisch für einen herzhaften Blätterteigkuchen mit Spinat), trinke einen Frappe (ein mit Eis geschüttelter, schaumiger Nescafe – gibt’s auch in Griechenland) und eile zum Skanderbeg-Platz. Dort gibt e um 18 Uhr eine „Free Guided 2 hours Walking Tour“. Insgesamt sind wir ca. 11 Gäste, alle unter 45, 3/5 deutsch, und Eri, unser albanischer Guide. Eei hat gerade sein Geschichtsstudium abgeschlossen, spricht super Englisch und macht eine super Führung. Sehr offen spricht er über die Geschichte seines Landes, und verdeutlicht uns nochmal, was die Isolation des Landes bis 1991 eigentlich bedeutet: Seine Eltern hatten bis dahin nie die Beatles gehört, kannten keinen James Bond und keine Madonna, wussten nicht, wer Mohammed und Jesus waren, hatten nie eine Cola getrunken… Für mich sieht Tirana aus, wie ein kleineres Athen, ohne Akropolis. Aber diesen ganzen westlichen Kram gibt es erst seit 1991! Wenn sein Vater durch die Stadt geht und ein Mädchen in einem kurzen Rock mit Dekolleté sieht sagt er „Das ist schlecht, das hat es früher nicht gegeben!“ – Das selbe sagt er, wenn er eine verschleierte Muslima sieht. Ich glaube, dass solche Veränderungen eine riesige Herausforderung für eine Gesellschaft sind. Und ich ziehe meinen Hut vor den Albanern: Sie gaben sich alleine von der Ottomanischen Herrschaft befreit, sich alleine den Kommunismus eingebrockt, sich alleine davon befreit und unter größten Spannungen wandeln sie sich gerade in eine moderne, westliche Gesellschaft. Weitestgehend friedlich, sehr offen und seit Jahrzehnten geduldig.

Tirana hat keinen Eiffelturm, keine Towerbridge, kein Kolosseum, keine Akropolis, kein…  Naja, was auch immer Berlin haben mag. Es gibt kein konkretes Must See. Aber es ist eine Stadt, so sehr im Wandel, so touristisch unverdorben, ohne tumbe Herrscharen von Touristen, die nur einen Selfie vor einer Attraktion machen wollen… In dieser Hinsicht für mich einzigartig und empfehlenswert, wie Albanien allgemein. Wenn man nur bereit ist, seine Komfort-Zone ein Stück weit zu verlassen.
Morgen werde ich versuchen, früh loszukommen. Der arme Argos war solange in der Tiefgarage des Hauses, wo mein Zimner ist, angekettet. Brikena sagte mir, es sei „very safe, my manager said that You cannot take the bike into your room“. Ich antwortete Ihr, dass ich einen „very serious talk“ mit ihrem Manager gaben würde, falls Argos verloren ginge, woraufhin sie nochmals beschwichtigte, s sei wirklich „very safe“. Wenn Argos weg ist, erleben wir wirklich beide die Abenteuerunserer Leben – leider getrennt. Ansonsten schwebt mir vor, dass wir übermorgen Abend auf Korfu ankommen. Es werden zwei stramme Tage. In diesem Sinne: Gute Nacht für heute. 




Das coolste Mofa der Welt...









Auf dem Skanderbeg-Platz

Eine Demonstration der Opposition gegen die korrupte Regierung; die Polizei äußerst zurückhaltend - gelebte Femokratie


Der Markt

2 Kommentare:

  1. Vielen Dank für die spannenden Fotos aus dem Alltag dieser sich wandelnden Stadt, von der ich auch bisher kaum Bilder gesehen habe.
    Schöne Pfingsten und weiterhin gute Fahrt.

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