Freitag, 31. Mai 2019

Tag 6: Die Bilder






















Tag 6: Über die Großglocknerstraße und die Drau in die Karnischen Alpen

Heute war der absolute Knaller-Tag – ich bin immer noch völlig begeistert! Aber eines nach dem anderen. Vielleicht vorab noch die Bitte um Entschuldigung, dass bei diesem Eintrag die Bilder erst morgen separat kommen und keine Bildunterschriften haben. Das WLAN funktioniert nicht und ich muss Daten sparen und per Email veröffentlichen…

Ich werde vom Wecker geweckt und muss erstmal überlegen, wo ich bin. Beides passiert mir nicht oft. Am Frühstücksbuffet höre ich, dass die vier anderen Gäste sich auf Griechisch unterhalten. Ich frage kurz, ob sie zum Urlaub oder zur Arbeit hier sind. Sie sehen mich verdutzt an – „Zum Urlaub." Ich sitze gerade wieder an meinem Tisch als sie mich rufen „Was sitzt Du da alleine, komm doch rüber zu uns!". Ich setze mich zu ihnen und mir wird bewusst, dass sie typische Griechen sind. Ich kann es kaum beschreiben, aber die Art wie sie lachen, reden, miteinander umgehen und auch mit mir ist einfach anders. Nicht besser oder schlechter, genauso wenig wie man sagen kann, dass Berge oder Meer besser oder schlechter wären, nur anders. Ich mag es, diese Unterschiede zu sehen. Und sie erinnern mich an ein paar griechische Freunde. Wir unterhalten uns über unsere Pläne: Sie sind mit Motorrädern unterwegs und wollen heute nach Meran – auch über die Glocknerstraße. Wir machen noch ein paar Witzchen und verabschieden uns.

Kurz nachdem ich losgefahren bin, halte ich nochmal, um Argos Kette zu schmieren – sie hat die letzten beiden Tage ganz schön gelitten. Dann geht es endlich nach oben. Fusch, wo ich übernachtet habe, liegt auf 800 m, ich habe also erstmal rund 1600 hm vor mir. Es hat ca. 8 Grad, der Himmel ist grau. Ich überschlage kurz, welche Temperaturen mich oben erwarten – brrr. Erstmal weiterkommen. Nach den ersten 300 hm hört mein linkes Knie auf zu schmerzen (es tut seit dem Vorabend weh) und, hört hört, mein Hintern und der Sattel haben sich in ihrem Nachbarschaftsstreit, angesichts der heutigen Aufgabe, auf einen Waffenstillstand geeinigt. Allerdings werde ich unruhig: Ich erkenne etliche, der mir entgegenkommenden Autos wieder – die haben mich doch eben erst überholt?! Mir schwant Böses. In Ferleiten ist der offizielle Beginn der Strecke, mit Mauthaus und Schranke. Als ich dort ankomme, sehe ich, dass die Straße gesperrt ist. Oh Mann. Die Dame bei der Information erklärt mir, dass man bis Fuschertörl fahren könne (2400 m, von dort geht's noch etwas ab und auf, bis der höchste Punkt auf rund 2500 m kommt). Danach nur mit Ketten. Auf meine Frage, ob man im Laufe des Tages noch rüber könne, wiegt sie nur den Kopf. Ich lege es positiv aus – sie hat es mir nicht ausdrücklich verboten – und fahre los.

Die Wolken werden immer dichter und ich sehe leider nicht viel, aber dafür sind kaum Autos unterwegs. Die Straße hat an manchen Stellen geschätzte 12 % Steigung, meist aber etwa 10. Zunächst komme ich gut voran, aber ich merke doch, dass s immer kälter wird. Ich bin mit kurzer Hose und oben immerhin mit Armwärmern unterwegs, aber ich bin in diesem merkwürdigen Zustand, wo man schwitzt und gleichzeitig friert. So wird das nichts. Bei 1600 hm gibt es einen Souvenirladen mit einem winzigen Café. Ich beschließe einzukehren und setze mich zu dem einzigen anderen Gast an den Tisch. Nachdem ich mir mein zweites Paar Socken, die Regenüberschuhe, die Beinlinge, die Regenjacke und die langen Handschuhe angezogen habe, geht's weiter (Zeit für einen Topfenstrudel und 2 Kaffee war auch noch ). Wieder draußen, fühle ich mich erheblich besser. Die nächsten 600 hm kurbele ich im Flow, bis 2 offenkundig indische Landsleute vor einem VW Bus mich zu sich winken. Inzwischen ist es ca. 3 Grad „warm", neben der Straße liegt dicker Schnee, es ist reichlich ungemütlich, aber die beiden möchten ein Foto mit mir. Wir unterhalten uns kurz, sie machen eine 12 tägige Reise durch Deutschland und Österreich. Als sie mich ragen, ob das an meinem Fahrrad spezielle Vollgummireifen wären und warum ich nicht „on the Highway" fahren würde, wird mir bewusst aus welch unterschiedlichen Welten wir kommen – und für was für einen verrückten Vogel sie mich halten müssen. Wir wünschen uns gegenseitig herzlich alles Gute und es geht weiter.

Schließlich komme ich am Fuschertörl an. Bei guter Sicht genießt man dort ein überweltigendes Panorama, wie es eigentlich Bergsteigern vorbehalten ist. Heute sehe ich nichts, das Wasser in der Luft ist gefühlt im Tripelpunkt, es hat immerhin noch 2 Grad und ist ziemlich windig. Also nur schnell ein Zielfoto und weiter. Es geht wieder leicht bergab und ich tippe die Vorderbremse an. „Peng" sagt das Vorderrad. „Oh nein, bitte nicht." sage ich. „Doch doch, klimper klimper." Sagt das Vorderrad: Eine Speiche ist gebrochen. „Du wolltest doch Abenteuer – enjoy!" sagt eine Stimme aus dem off. „Ruhe jetzt, alle zusammen!" herrsche ich in die Runde. Theoretisch kann man mit einer gebrochenen Speiche noch weiterfahren. Aber bei Scheibenbremsen müssen die Speichen auch die Bremskräfte von der Scheibe über die Nabe auf die Felge übertragen – und ich habe noch 1800 hm Abfahrt vor mir. Ich schaue genau hin: Natürlich ist die Speiche im Nippel gebrochen, er muss also auch raus. Also Reifen und Felgenband auch runter. Ich habe zwar alles was ich für die Operation an Argos benötige dabei, aber meine Erfahrungen im Speichenwechseln beschränken sich auf das Anschauen einiger Youtube-Videos. Hier draußen schaffe ich das auf keinen Fall. Gottseidank stehe ich direkt vor einem weiteren Souvenirladen. Die Dame ist so freundlich, ich drinnen herumbasteln zu lassen, außer mir ist sowieso niemand da. Es klappt alles erstaunlich gut. Eigentlich müsste ich die Felge noch genau zentrieren, aber für den Moment stelle ich die neue Speiche so ein, dass sie beim Anzupfen einen ähnlichen Ton abgibt, wie ihre Nachbarn und siehe da, es passt halbwegs.

Allerdings sagt meine Retterin, dass die Abfahrtnach Heiligenblut nur mit Ketten passierbar sei, da käme ich nicht runter. Hm, was mache ich dann? Zurück nach Fusch und morgen alles nochmal? Wenn man hier oben irgendwo übernachten könnte… Ich rufe bei der Hütte auf der Edelweisspitze an, einem benachbarten Gipfel, vielleicht 200 hm von hier. Ja, sie hätten Zimmer, aber die Straße sei nicht geräumt. Irgendwann käme aber der Schneepflug. „Schnickschnack", denke ich und mache mich auf den Weg. Es geht zuerst ein Stück zurück, dorthin von wo ich gekommen bin, bis eine Kopfsteinpflasterstraße zur Edelweißspitze abzweigt. Ich passiere das dortige Restaurant und die geschlossene Schranke, aber nach 50 m muss ich einsehen, dass es nicht geht, mit Fahrradschuhen und dem leicht übergewichtigen Argos. Außerdem ist mir schon wieder kalt, trotz Daunenjacke. Enttäuscht gehe ich in das Restaurant, um einen Tee zu trinken. Aber bevor ich bestelle, erkläre ich der Bedienung meine Situation. Sie telefoniert etwas herum, ob ein anderer Berggasthof ein Zimmer für mich hätte – nichts. Dann ruft sie für mich bei dem Straßendienst an und fragt, ob die Abfahrt inzwischen möglich sei. „Eigentlich nicht.", sagt sie. Dann mustert sie ich von oben bis unten: „Aber an Deiner Stelle würde ich es einfach versuchen, musst halt vorsichtig sein.". Das hatte ich gebraucht, diesen kleinen Schubs. Ich bedanke mich und jauchze fast, als ich mich auf den Weg mache. Es geht zunächst ein Stück, ca. 100 hm, runter und dann langsam wieder hoch. Im Anstieg steht irgendwann ein Pritschenwagen vor einer geschlossen Schranke. Bis hierhin war die Straße top geräumt. Ich halte bei dem Wagen und frage die beiden, ob ich rüber könne. „Na, Ketten hast wohl koi dabei." , flachst der Fahrer. Humor ist immer ein gutes Zeichen. Sie funken kurz etwas unverständliches, nicken und sehen mich streng an: „Es sind Räumfahrzeuge auf der Straße, es ist deSchneefräse auf der Straße, es ist schweres Gerät auf der Straße!" – „Verstanden, piano." grinse ich. Dann fahre ich an der Schranke vorbei und bin wirklich in einer anderen Welt. Kein einziges Auto mehr, nur weiß, 100 % graupelige Luftfeuchte, Schnee, Schnee, Schnee und Argos und ich. Irgendwann kommt mir die Schneefräse entgegen, mähdreschergroß und den Schnee wegfressend, wie eine riesige Raupe. Dann kommt das Hochtor, ein Tunnel am höchsten Punkt, ca. 200 m lang und schnurgerade. Normalerweise kann man durchsehen, heute schaut man in ein dunkles, nebelsaugendes Loch. Argos und ich haben eine Welt betreten, in die Menschen, zumindest heute, nicht hingehören. Schaurig schön. Nach 2/3 des Tunnels nähert sich von hinten ein Donnergrollen – ein Räumfahrzeug überholt uns mit aufgesetztem Schild. Auf der anderen Seite gibt's ein schnelles Gipfelfoto und dann geht's hinab. An 2 Stellen sind ein paar Schneeflatschen auf der Straße, aber Argos umkurvt sie lässig. Als es wärmer wird, lassen wir es laufen. An der südlichen Mautstelle schauen ein paar holländische Motorradfahrer erstaunt, als ich die gesperrte Schneekettenstraße runterkomme :)

Nach zwei weiteren, viel kleineren Pässen komme ich in Kötschach an. Es ist ziemlich kalt – zumindest fühlen sich die 9 Grad für mich nicht nach Camping an, und ich nehme mir ein Zimmer in einer Pension italienischen Namens. Es ist schon um acht Uhr als ich ankomme, also für österreichische Verhältnisse urspät zum Abendessen. Gottlob, zu meiner Herberge gehört ein Restaurant. „Cucina tipica italiana", lese ich, und mir ist sofort weniger kalt. Ich gehe rein, das Restaurant ist gut besucht. Als der Chef mich beim 2. Versuch nicht versteht, versuche ich es auf Italienisch – „Aaaaah, parli italiano!". Er erklärt mir, dass die Küche bis 10 Uhr geöffnet ist, und als er mir mein Zimmer zeigt, habe ich den Eindruck, dass er eher nochmal schauen möchte, ob alles in Ordnung ist (zumindest lässt er noch diskret eine fat aufgebrauchte Rolle Toilettenpapier verschwinden. Jackpot – un vero Italiano, ein richtiger Italiener. Das Abendessen war super und sogar die Handtücher riechen etwas italienisch. Ich bin begeistert.

Morgen geht es über den Plöckenpass in das echte Italien, über Udine nach Triest. Gute Nacht für heute.

Donnerstag, 30. Mai 2019

Tag 5: Nach Österreich, durch Tirol ins Salzburger Land


Heute habe ich ziemlich gut geschlafen. Zwar wache ich vor dem Wecker auf, aber ich fühle mich frisch und erholt. Beim Frühstück bin ich dann doch wieder der Letzte; irgendwie ist auf dieser Reise mein Rhythmus nach hinten verschoben. Ich nehme mir vor, irgendwie früher dran zu sein und auch früher ins Bett zu gehen, ohne genau zu wissen wie - das Leben eines Rad-Landstreichers ist doch sehr ausgefüllt.


Als ich mein Zimmer verlasse, fällt mir auf, dass ich einen ziemlichen Saustall hinterlassen habe: Obwohl ich versucht hatte, vorsichtig zu sein, habe ich wohl den Straßendreck überall verteilt - es knirscht bei jedem Tritt. Schuldbewusst lasse ich etwas Geld auf dem Tisch liegen, was ich normalerweise nicht tue. Diese Unterkunft war mir sehr sympathisch, bodenständig und zugleich höflich, mit einer nicht abgehobenen aber feinen bayrischen Küche. Da möchte ich auch ein guter Gast sein.


Allerdings liegt das Haus auf einem kleinen Hügel, und als ich starte und im Regen hinabrolle, merke ich sofort trotz Armwärmer, wie bitterkalt es ist. "Du musst halt erstmal warm werden", denke ich. Außerdem komme ich nun nach Flintsbach am Inn, wo ich mal ein Auto gekauft habe. Ich versuche, an die damalige Fahrt hierher zu denken - damals waren mein Vater und ich an einem Tag hin und wieder zurück gefahren, während ich inzwischen den 5. Tag unterwegs bin! Es hilft aber nichts, es ist einfach zu kalt. Das Thermometer zeigt 8 Grad, die sich für mich noch wesentlich kälter anfühlen. In einem Vorgarten sehe ich drei Kinder fröhlich in einer Schaukel sitzen - bei einstelligen Temperaturen im Regen. Diese Bergbewohner sind vielleicht doch anders drauf... Bei einer kurzen Pause sehe ich ein paar Schnecken, von denen zwei - ich weiß auch nicht was - tun. Denen ist offenbar auch nicht kalt.


Mache sich jeder ein eigenes Bild

So sehen sie einzeln aus. Sind die eigentlich essbar?

Dieser Gesichtsausdruck ist ein blanker Euphemismus

Ich überquere den Inn und damit die Österreichische Grenze. Eigentlich hat das Überschreiten einer Staatsgrenze für mich immer etwas Feierliches. Dieses Mal allerdings leider gar nicht. Es ist wirklich unangenehm nasskalt, und obwohl es objektiv noch keine bedrohliche Situation ist, bin ich recht konsterniert. Ich habe vielleicht 20 km hinter und noch über 100 vor mir und weiß, dass ich es so nicht schaffen werde. Direkt hinter der Grenze ist ein rasthausähnliches Restaurant. Kurzentschlossen parke ich Argos unter dem Vordach und stapfe triefend hinein. Ein anderer Gast sieht mich mitleidig an und deutet sofort in Richtung Toilette, wo ich erstmal den Handtrockner benutze. Ein paar Motorradfahrer sind auch da: Heute Morgen von Nürnberg gestartet, wollen sie heute noch nach Slowenien. Verrückt schnell, denke ich. Wir fluchen gemeinsam etwas über das Wetter, und dann trinke ich einen Kaffee. Das Regenradar sagt, dass es in einer halben Stunde etwas weniger würde, ich trinke also noch einen Kräutertee. Der Laden selbst ist auch eher sparsam geheizt, so dass ich irgendwann meine Daunenjacke anziehe. Langsam taue ich so wieder auf und beschließe, das Teil unter der Regenjacke an zu lassen. Eine gute Entscheidung: Als ich losfahre ist es ok und irgendwann sogar fast gemütlich. Ich komme sogar wieder dazu, die Umgebung zu genießen.

Ich fahre gerade einen kleinen Weg durch den Wald von Kufstein nach Walchsee hinauf, als plötzlich ein anderer Radler an mir vorbei brettert. Es geht ziemlich steil bergauf und er ist bestimmt 10 km/h schneller als ich. Mit klassischen Packtaschen und einem selbstgebauten Regenschutz aus Mülltüten. Nach wenigen Augenblicken kommt noch einer, selbes Tempo, selbes Setup. Ich beobachte gierig das Fahrrad, das muss doch ein E-Bike sein. Kein Mensch kann hier so schnell hochfahren. Oder die, die es doch können sind gerade geschlossen beim Giro d'Italia... Egal, Argos und ich sind uns einig, dass wir sie ziehen lassen, unwirklich schnell wie sie sind. Bald kommt Walchsee. Ich halte die Augen offen, weil ein Kollege hier Urlaub macht, aber er hat offenbar besseres zu tun als bei Regen und einstelligen Temperaturen an der Straße zu stehen. Gut für ihn :) Wenig später überhole ich die schnellen Jungs mit den Mülltüten. Es sind E-Bikes: Fahren bergauf 25, aber geradeaus eben auch nicht schneller :) Einer flachst zu mir rüber: "Unverschämtheit, hast wohl n E-Bike!!". Auf diesen Moment habe ich lange gewartet: "Ne, ein Muscle-Bike.". Gelächter auf beiden Seiten, während Argos die Brust schwillt vor Stolz. Die beiden sind Sachsen, was man an Dialekt und Humor merken kann :) Im Gegensatz zu mir haben sie es bald geschafft: "Dreißig Kilometer reichen bei dem Regen." Eigentlich hat er Recht, aber ich will nicht so viel darüber nachdenken.

Über Waidring und Lofer geht's weiter, nun in Richtung Süden. Es hat sich richtig schön eingeregnet, aber mit der Daunenjacke ist es ok. Ich habe nur Sorge, dass sie auch nass wird, aber anders geht es gerade nicht. Inzwischen bin ich hungrig und beschließe die nächstbeste Gelegenheit zu nehmen. Ein riesiger Gasthof taucht auf, mit einem Reisebus davor. Hm, vielleicht setze ich doch noch einmal aus. Der nächste Ort heißt St. Martin und ist dementsprechend gnädig mit mir - ich finde einen Bäcker/Konditor mit angeschlossenem Café (ein richtiges Café, keine Stehtische). Diese Läden in Österreich (und auch oft Bayern) liebe ich. Sie haben keine ausgefallenen hippen Namen, sondern heißen schlicht "Bäckerei Familienname" und bieten eine feine Auswahl vorzüglicher Backwaren an. Übrigens habe ich insgesamt den Eindruck, dass es hier (und in Bayern) noch viel weniger Bäckereiketten gibt, und dass stattdessen noch viel mehr Bäcker selber backen. Die Dame an der Theke schaut mich zunächst skeptisch an, als ich andeute, im Café essen zu wollen (ich bin dreckig und triefend), aber ihr Mitleid siegt. So bekomme ich die obligatorische Leberkässemmel, einen Topfenstrudel mit Sahne und einen Bienenstich - alles in landestypischer Größe, so dass ich leider weder Mohnstriezel, noch Nussschnecke probieren kann. Diese Esserei ist echt mit das Beste am Radeln - heute auf jeden Fall.

Irgendwann komme ich dann tatsächlich in Fusch an der Großglocknerstraße an. Morgen möchten wir über den Pass fahren, der heute jedoch wegen Schneefalls geschlossen war. Für morgen ist besseres Wetter vorher gesagt, mal sehen, ob sie öffnen. Die Alternative wäre westlich durch den Felbertauern Tunnel - per Shuttle - hoffentlich bleibt mir das erspart. Da also morgen vielleicht amtlich geklettert wird, hier noch ein paar Worte zu meiner körperlichen Verfassung: Die Beine sind noch erstaunlich gut und machen zuverlässig, was sie sollen. Der Nacken wird immer besser. Nur mein Hintern streitet sich unerbittlich mit dem Sattel, wer nun wem die Form gibt. Mir ist es am Ende egal, aber eine baldige Einigung wäre schön ;) In jedem Fall geht es morgen nach Kötschach - die letzte Nacht in deutschsprachigem Gebiet :) Gute Nacht für heute.






Mittwoch, 29. Mai 2019

Tag 4: Über den Lech, durch München zu den Bergen

Als ich heute aufwache, versuche ich, noch im Bettchen liegend, zu hören, ob es draußen nass ist. Obwohl ich mit offenem Fenster geschlafen habe (damit meine frisch gewaschenen Sachen trocknen), bin ich mir nicht sicher. Dafür wird mir bewusst, dass die Kreissäge auf der Baustelle gegenüber der Grund dafür ist, dass ich eine dreiviertel Stunde vor meinem Wecker wach bin. Meine Sachen sind leider immer noch feucht, aber nach 5 Minuten mit dem Fön sind sie soweit, dass ich sie anziehen kann; der Rest trocknet am Körper, ich muss ja noch nicht raus, sondern gehe erstmal zum Frühstück.

Als ich dann losfahre bin ich angenehm überrascht: Es tröpfelt nur ganz leicht vor sich hin, bei ca. 14 Grad. Ich trage die volle Regenmontur (Jacke, kurze Regenhose, Überschuhe) und bin ehrlich erleichtert: Ein bergisches Fisseln ist schon weit schlimmer, auf mir bleibt kaum Wasser liegen. Und alles andere (um die Dinge beim Namen zu nennen: Der Hintern) fühlt sich auch besser an, als erwartet. Sichtlich zufrieden radele ich über den Lech und zunächst durch topfebene Felder und vorbei an Gehöften, an denen es stark nach Schweinezucht riecht. Absolut gesehen ist dies nicht der bisher tollste Tag. Aber Zufriedenheit hängt eben auch stark von den Erwartungen ab.

Bin ich etwa im Emsland gelandet?


So komme ich zügig voran, bis ich plötzlich in Dachau bin. So langsam wäre es Zeit für das Mittagessen und ich finde einen netten Laden, der bayrische und österreichische Spezialitäten anbietet. So speziell ist es am Ende gar nicht, aber ich bekomme ein sehr ordentliches Schnitzel mit tollem Kartoffelsalat, eine Leberkässemmel, einen Mohnstriezel und einen Kaffee. Es kommt mir immer so vor, als wären die Leute überrascht davon, was ich alles esse; jedenfalls bietet man mir kein Minzplättchen mehr an.

Als ich den Laden verlasse, regnet es plötzlich ziemlich stark. Zwar ist Argos der Hund von uns beiden, aber im Moment erinnere ich mich selber an unseren alten Hund, den wir früher hatten, wie er in seinen letzten Jahren ungläubig/gequält schaute, wenn man ihn bei Sauwetter zum Spaziergang lud: "Da willst Du jetzt wirklich raus gehen??". Das Navi zeigt noch 80 km, zum mal eben durchbrennen zu viel. Es hilft nichts, ich fahre los und merke sofort, wie ich auskühle. Bei der nächsten Bushaltestelle ziehe ich die Armlinge drunter, und es wird fast gemütlich. Und nach ein paar weiteren Minuten wird der Regen schon schwächer.

Ich bin nun kurz vor München, und wenn ich das auf der Karte richtig gesehen habe, gehen Dachau und München fast direkt in einander über. Und München muss ich diagonal durchqueren. Und ich muss pinkeln. Jetzt oder nie, ich finde eine halbwegs ruhige Stichstraße und tue, was getan werden muss, während ich bete dass jetzt keiner vorbei kommt und ich mich an die Ausfluss-Formel nach Torricelli erinnere. Endlich bin ich fertig, wir reiten los, just als ein Auto die schmale Straße entlang kommt. Ich fühle mich wie ein echter Landstreicher und verspüre eine diebische Freude :)

Dann kommt das Ortseingangsschild von München - und direkt danach Wegweiser zu den Firmen MAN und MTU. Bei MAN gibt es nur Trucks & Busses, aber bei der MTU steht ein ziemlich großes Triebwerk in einem Container-großen Glaskasten. Argos ist sich zunächst zu fein, aber als ich ihm erkläre, dass das Gerät etwa 6 Größenordnungen mehr Leistung umsetzt, als er und ich zusammen, ist er doch einverstanden, sich damit ablichten zu lassen.






Dann geht's durch München, und zwar mitten durch. Gerade setzt der Feierabendverkehr ein, aber nachdem ich die letzten Tage hauptsächlich in der absoluten Provinz unterwegs war, gefällt mir das quirlige Stadtleben sehr gut - und es macht einen Heidenspaß, mit Argos im Stau an den Autos vorbei zu fahren :) Unterwegs gibt es noch eine Nussecke, und dann verlassen wir München in Richtung südost und kommen durch Neubiberg (@Christian H: JUSTINBIBERAX) und alle möglichen Orte, die auf Brunn enden. Irgendwann merke ich, dass meine Füße komplett nass sind, aber es ist nicht mehr weit und die letzten km haben wir Rückenwind, ich lasse mich von Argos tragen, der mit vollem Wind segelt.

Heute ist die letzte Nacht in Deutschland, morgen werden wir in Österreich sein, es geht über Kufstein, den Walchsee (Raphael, bist Du da nicht gerade im Urlaub?), Zell am See nach Fusch an der Großglocknerstraße - richtige Berge :) Es ist strammer Regen vorher gesagt, aber wenn dies so sein sollte, ist es ein relativ kurzer Tag (ca. 130 km) und hoffentlich auch der letzte richtige Regentag. Gute Nacht für heute.

Wer könnte daran vorbei gehen?





Schönheit hat viele Gesichter.

Dienstag, 28. Mai 2019

Tag 3: Durch Franken und Schwaben

Heute bin ich irgendwie mit dem falschen Fuß aufgestanden. War das Kopfkissen zu hoch? Hätte ich es bei dem Achtel belassen sollen und nicht noch ein Viertel von dem lokalen Rotwein nehmen sollen (gerade nach körperlicher Betätigung reagiere ich manchmal sehr empfindlich auf Alkohol)? Oder ist das etwa doch alles zu anstrengend? Den letzten Gedanken schiebe ich direkt beiseite und beschließe, dass ich einen Kater habe. Jedenfalls habe ich ein unangenehmes Ziehen im Nacken und eine unangenehme Ahnung von Kopfschmerz. Beim Frühstück versuche ich, dagegen anzuessen, was nur so halbwegs funktioniert. So fahre ich heute etwas gebremster los, als die Tage zuvor - zum Glück steht heute etwas weniger an. Immerhin ist die Umgebung wunderschön, es geht das Taubertal hinauf.

Lustige gefiederte Freunde :)



Aber irgendwie läuft es nicht so. Argos versucht alles, um meine Laune zu verbessern, rollt leicht und geschmeidig, schaltet präzise, lässt nur die Kette ganz leise und beruhigend klickern. Aber mit mir ist nicht viel los. Düster denke ich an Mark Beaumont, einen knochenharten Schotten, der den Weltrekord für die Weltumrundung mit dem Fahrrad hält (78 Tage). Ein wunder Hintern sei ja eigentlich bloß ein kosmetisches Problem, sagte er mal in einem Interview. Ich versuche mich zu trösten und denke an andere Radfahrerweisheiten. Katie Kookaburra, eine englische Langstreckenfahrerin meint, wenn es hart wird denke sie immer "It's only riding a bike.". Dann denke ich an etwas, was sie irgendwie alle sagen: Wenn Du Dich gut fühlst, werden Momente kommen in denen Du Dich schlechter fühlst. Und wenn Du Dich schlecht fühlst, kommen auch wieder Momente in denen Du Dich besser fühlst. Diese Aussage finde ich wirklich tröstlich, trifft sie doch nicht nur auf das Radfahren, sondern auf das ganze Leben zu. Ich warte also, dass es besser wird, aber ich bleibe undefiniert unwohl. Irgendwann zeigt der Tacho 68 km, als ich an einem Bäcker vorbei komme. Obwohl ich noch gar keinen Hunger habe, verputze ich eine Leberkässemmel, ein Schnitzelbrötchen, einen Berliner und gieße noch einen Kaffee hinterher - nach der fetttriefenden Käsepizza von gestern ist dies quasi was Leichtes.

Und siehe, plötzlich geht's wieder besser. Die Kopfschmerzen sind weg und der Rest nur noch halb so wild. Endlich beginne ich, die Fahrt zu genießen: Eine sanft gewellte Landschaft mit einzelnen kleinen Ortschaften, von denen einige wirklich sehr schön sind. Dinkelsbühl zum Beispiel. Am Ortseingangsschild rühmt man sich vollmundig mit der "schönsten Altstadt Deutschlands", wie angeblich mal der Focus geschrieben hat. Fakten, Fakten, Fakten... Ob die japanische Reisegruppe, die mir als erste über den Weg läuft, auch Focus liest? Es ist dann aber wirklich sehr schön. Besonders das Münster hat es mir angetan: Von außen recht trutzig, aber von innen sehr licht und elegant. Und der einbeinige heilige Aurelius, den sie ausliegen haben ist irgendwie auch ein Schmankerl: Bei einer Schändung im Jahre 2010 ist wohl sein linkes Bein abhanden gekommen... Trotzdem haben sie den Armen wieder tapfer in seinen gläsernen Sarg gelegt. Vor der Kirche setze ich mich in die Sonne, esse ein Eis und sehe dem Treiben auf dem belebten Platz zu.








Argos lehnt lässig am Münster und checkt die Lage
Als ich weiterfahre bin ich wirklich dankbar, dass ich die Fahrt endlich wieder genießen kann. Radfahren ist eine tolle Sache, besonders wenn der Kater vorüber ist. Vorsichtshalberbeschließe ich, heute Abend bei alkoholfreiem Weißbier zu bleiben. Irgendwann taucht ein merkwürdiger Hügel vor mir auf: Steil, unbewaldet und teils sogar felsig sieht er aus, als habe man einen Voralpengipfel hierher verfrachtet. Ist dies die fränkische Schweiz? Den Namen hätte dies jedenfalls verdient.

Als ich schließlich in Donauwörth ankomme, treffe ich Peter an der Pension (heute wieder kein Netzzelt, Regen ist angesagt). Er wandert den Donauradweg (zu Fuß) von Donaueschingen bis Passau. Wir verabreden uns zum Abendessen, wo wir uns über unsere Wehwehchen austauschen, und dass wir es trotzdem beide super finden, mal aus eigener Kraft unterwegs zu sein...

Der Blick auf den Wetterbericht für die nächsten drei Tage dämpft meine Euphorie gerade etwas, aber Mark Beaumont würde klatschnasse Klamotten wohl auch als kosmetisches Problem sehen, da will ich nicht die Prinzessin auf der Erbse spielen. Und außerdem machen die Kollegen Meteorologen ja auch nur CFD - es gibt Hoffnung. Gute Nacht für heute.