Mittwoch, 5. Juni 2019

Tag 11: Von Baska Voda (Kroatien) nach Mostar (Bosnien und Herzegowina)

Der Wecker holt mich aus tiefem Schlaf, so dass ich noch etwas benommen ein paar Minuten liegen bleibe. Noch bin ich nicht so richtig motiviert und inzwischen frage ich mich auch, was ich eigentlich mache, wenn ich Argos im nächsten Ort nicht repariert bekomme. Ich zwinge mich dann doch, meine Morgenroutine halbwegs schnell zu erledigen: Frühstücken für drei, Sachen packen, Trikot und Hose trocken fönen, auschecken und los. So eiern wir (Argos Hinterrad eiert tatsächlich sichtbar) nach Makarska, 8 km weiter südlich. Es ist ein, für meine Begriffe, riesiger Touristenort. Nicht schön, aber dafür mit einem Fahrradladen. Nachdem Internet Recherche nichts ergeben hat, frage ich einen Bootsvermieter, der mir den ungefähren Weg beschreibt. Nach etwas Suchen finde ich tatsächlich den Laden. Das Lokal ist vielleicht 10 qm groß, aber immerhin stehen nicht nur Baumarkträder rum, sondern auch ein paar halbwegs ernsthafte Mountainbikes. Eine Dame und ein Herr mittleren Alters sitzen auf Stühlen, er telefoniert, also trage ich ihr mein Anliegen vor. Offenbar wird es ihr schnell zu technisch und sie deutet auf ihn. Er hält kurz den Hörer von sich weg und sagt zu mir "I heared you have a broken spoke. I cannot gell you, I don't have the tools.". Mein Blick fällt über das Regal hinter ihm: Alle möglichen Shimano Kartons, Kassetten, irgendwelche Abzieher... Ich warte bis er fertig mit seinem Gespräch ist. "I just need something to remove the cassette, I have the spokes..." - "I am telling you: I do not have the tools for your bike.". Nichts deutet darauf hin, dass er mir helfen wird. Ich versuche es mit der Tränendrüse: "You see, I am cycling from Germany to Greece. I need your help.". Keine Reaktion. "Is there another bikeshop in Makarska?". Endlich eine Antwort: "Go to Hotel Meteor. They rent bikes. Talk to them.". So ein Blödmann. Mir ist bewusst, dass ich kein Recht auf Hilfe habe, ich bin auf das Wohlwollen der Menschen angewiesen. Aber wenn sie mich so offensichtlich abweisen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Tools für meinen Argos die gleichen sind, wie für seine Mountainbikes.

Bei Meteor läuft es direkt ganz anders. Ich schildere dem Typen mein Problem, er kratzt sich am Kopf und sagt: "I think I have the tools. But I don't know how to fix it." Ich möchte ihn umarmen. "I know how to fix it!", worauf er mir seinen Fahrradwerkzeugkoffer reicht und mich machen lässt. Das Werkzeug ist übrigens von Lidl - dass ich mal von Lidl gerettet werde, hätte ich als Aldi Süd Fan auch nicht gedacht ;) Das Werkzeug ist nicht perfekt, aber nach drei Mal abrutschen mit der Kettenpeitsche löst sich die Kassette mit einem wirklich erlösenden Ächzen. Der Weg ist frei, der Rest geht schnell. Als ich die Kassette nach erfolgreicher Operation wieder als Ganzes auf den Freilauf setzen will, knurrt Argos kurz: "Das ist jetzt nicht Dein Ernst?!". Also gut, ich reinige nochmal jedes Ritzel einzeln, bevor ich sie aufsetze und der freundliche Fahrradvermieter hat sogar etwas Fett zum Montieren. Super.


Schmutzige Hände - saubere Kassette

Jetzt bloß nicht das Gewinde vermakeln
 Als ich fertig bin, ist es viertel nach eins. Vor lauter Glückseligkeit muss ich erstmal einen Kaffee trinken. Und ein zweites Frühstück nehmen, obwohl ich heute noch kaum gefahren bin. Um kurz nach zwei fahren wir los. Die Straße biegt schnell in Richtung landeinwärts ab, also den Berg hoch. Rund 600 hm müssen wir erstmal klettern, um die Berge, die die Küste entlang gehen, zu überwinden. Es fängt an zu regnen, aber es stört mich nicht, ich bin immer noch sehr erleichtert über Argos Auferstehung von den Lahmen. An einer Baustellenampel hält ein Auto neben mir und der Fahrer, etwa mein Alter, spricht mich an: "Ey, throw your bike on the back of my car and I take you 40 kms into that direction.". - "Why, I am enjoying it." - "But it is raining.". "Ah, this is nothing, it is a beautiful day.", sage ich, und meine es ernst. "You are a masochist.", lacht er. "But I am also a masochist: I smoke and drink." - "I drink as well. Do you also cycle?", frage ich? "No, I play soccer. You know, I am a very good player, a hard working man and a very good lover.", erklärt er mir zwinkernd. Aha. "So your wife must be very lucky.", folgere ich. "Ach, she is always thinking about how things could be better, wondering what we should change...". Möglicherweise ein pankosmisches Phänomen, denke ich mir. "And you, what about you?". Ich versuche das Thema zu wechseln. "I am from Germany.". Dann erzählt er mir, dass er Japan und Deutschland liebe, nicht wegen des Krieges, sondern weil beides sehr hart arbeitende Völker seien, und im Gegensatz zu den Kroaten mit einem Gemeinsinn ausgestattet. Gerade ist die Grünphase vorbei, also verabschieden wir uns lachend und fahren beide bei rot. Die dann folgende Straße ist wirklich ein Schmankerl. Oben führt sie über 500 m über dem Meer durch die steilen Felsen, das Panorama ist überwältigend. Ich hatte irgendwann bei Google Earth diese Straße gesehen und mich seitdem darauf gefreut - sie hat mich nicht enttäuscht.






Der Blick nach Bosnien
Irgendwann komme ich an die Grenze zu Bosnien. Im Niemandsland steht plötzlich ein offenbar verlassenes Wohnhaus, es steht sogar noch ein altes Auto davor. Während ich darüber nachdenke, ob es wohl wirklich verlassen ist, kommen plötzlich wie aus dem Nichts drei kleine wurstige kläffende Hunde auf mich zugerannt. Argos ist irgendwie perplex, und ich kann die Viecher nicht so recht ernst nehmen. Ich habe mal gehört, dass Anschreien hilft, aber ich bin noch 40 m vom bosnischen Schlagbaum und möchte mich nicht wie ein Irrer aufführen. Da schnappt eine der Tölen zu. Zwar nur flüchtig, beißt er mir in die Ferse. Neeiiiin, meine schönen italienischen Fahrradschuhe! Normalerweise mache ich so etwas nicht, aber besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen: Nachdem ich mit einem engagierten Tritt den Rädelsführer am Kopf streife, ziehen sie sich, immer noch kläffend, zurück. Erst später erwacht der Hypochonder in mir: Ob ich jetzt tollwütig bin? Obwohl man meinem Schuh von außen noch nicht mal etwas ansieht, wische ich ihn mit meinen Desinfektionstüchern ab - und fühle mich wieder besser.

Als ich in Mostar ankomme ist es schon halb neun. Ich habe kein Hotel gebucht, bin klatschnass vom Regen (kurz vor Mostar hat es wieder kräftig begonnen) und mobiles Internet ist in Bosnien unbezahlbar, wie mich mein Provider freundlicherweise per SMS informiert. Ich laufe in das erstbeste (was meistens das erste und nicht das beste ist) Hotel und bekomme ein Zimmer. Nachdem ich fertig bin, gehe ich noch schnell etwas essen und mache einen kleinen Spaziergang. Mostar hat eine sehr schöne, sehr touristische Altstadt. Es gibt viele Moscheen mit Minaretten, und während ich esse ruft tatsächlich der Muezzin zum Abendgebet. Es ist das erste Mal, dass ich das erlebe, und es wirkt sehr exotisch auf mich. Ansonsten hat man kaum das Gefühl, in einem muslimischen Land zu sein. Die Leute hören laute Musik, trinken Alkohol und anstatt Kopftüchern sehe ich mehrheitlich kurze Röcke. Während meines Spaziergangs komme ich mit einem Typen mitte zwanzig uns Gespräch. Er ist hellblond, dandyhaft gekleidet, hat offenbar schon leicht vorgeglüht und erklärt mir auf Nachfrage, dass er Moslem sei. Dann erzählt er von den Vergehen der Kroaten, also der kroatischstämmigen, also der Katholiken an den Moslems, hier in Mostar. Inzwischen würden aber alle halbwegs friedlich wieder zusammen leben. Und er erzählt, dass die Sprachen von Mazedonien bis Slowenien alle ähnlich wären, aber jeder Staat sie als seine eigene bezeichnen würde. Er erzählt noch ein paar Dinge mehr, aber seine Äußerungen zum Balkan haben mich nachdenklich gemacht. Für mich sieht hier alles genau so aus, wie in Kroatien - wie können die Menschen solche Probleme miteinander haben? Die naive Vorstellung des Unwissenden. Oh Mann, der Balkan ist wirklich eine Wissenschaft für sich.

Morgen fahren wir zurück nach Kroatien, nach Dubrovnik. Auch keine so weite Fahrt, aber trotzdem ist es schon wieder viel zu spät. Gute Nacht für heute.

An der Grenze (an dem Schild konnte ich kein Foto machen - wegen der Hunde)

Orient und Okzident

Davon fahren hier immer noch viele herum


Das Wahrzeichen von Mostar

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