Sonntag, 30. Juni 2019

Tag 29: In die Stadt und mit der Fähre in Richtung Venedig

An diesem Tag klingelt der Wecker um 4 Uhr morgens. Am Vorabend hat mal wieder alles etwas länger gedauert, so dass dies eine recht kurze Nacht war. Ich bin aber doch froh, dass ich endlich aufstehen darf - ich konnte überhaupt nicht schlafen. Als ich mir die Zähne putze, wird mir dann doch anhand einiger sehr unangenehmer und realitätsnaher Träume bewusst, dass ich doch geschlafen haben muss. Aber jetzt ist nicht die Zeit darüber nachzudenken. Eine halbe Stunde nachdem der Wecker geklingelt hat fahren Argos und ich los - ein Rekord auf dieser Reise, dem aber auch Frühstück und sogar Kaffee geopfert wurden.

Anfangs ist es noch völlig finster und es ist praktisch noch niemand auf den kleinen Straßen, die wir zunächst nehmen, unterwegs. Im nächsten Dorf tut sich dann doch etwas: Verführerisch duftet es aus einer gleißend hell erleuchteten Backstube. Offenbar gibt es keinen Verkaufsraum und so ist mir noch nie aufgefallen, dass hier gebacken wird. Jedenfalls schaue ich die Bäcker genau so überrascht an, wie sie mich. Als wir weiter in Richtung der Stadt kommen, sind etwas mehr Menschen unterwegs, aber insgesamt ist es doch noch sehr ruhig. Dafür tut sich im Osten etwas: Das Schwarz des Nachthimmels verwandelt sich ganz langsam in Dunkelblau und bald ist auch schon die zarte Morgenröte dabei. Als Langschläfer sage ich mir oft, dass Sonnenuntergänge genau so schön seien, aber es ist doch nicht das selbe: Zu dieser Jahreszeit schlafen bei Sonnenaufgang fast alle; man hat ihn ganz für sich alleine und es ist eine wunderbare, friedliche Stimmung. Und es ist eben doch etwas anderes, wenn die Sonne uns einen neuen, hoffnungsvollen und reinen Tag bringt, als wenn sie uns in die Nacht entlässt.

Ein neuer Tag beginnt


Die aktuelle Flaggschiff von Greenpeace im Hafen von Korfu: Die Rainbow Warrior III



Und da kommt die Sonne
Unterwegs komme ich bei "Emeral" vorbei, einer Bäckerei und Konditorei, die eigentlich schon früh öffnet, aber um viertel nach fünf sehe ich noch nicht mal Angestellte im Laden. Im Hafen checke ich erstmal ein, aber es sind noch 2 1/2 Stunden Zeit bis das Schiff abfahren soll (es ist noch nicht einmal da). Gottseidank finde ich in der Nähe einen Bäcker, der doch schon geöffnet hat, so dass ich an der Hafenmole mit Frühstück das Finale des Sonnenaufgangs genießen kann.

Als die Sonne dann da ist, geht es plötzlich ziemlich schnell: Es wird sofort warm und sehr hell. Ich spaziere ein wenig zwischen den Autos umher und sehe mir meine Mitreisenden an: Junge Familien mit kleinen Kindern, Rentner, ein paar Motorradfahrer. Noch Vorsaison. Als das Schiff kommt, beginnt das übliche Durcheinander: Die Parkanweiser von der Fähre rufen lauthals und wild gestikulierend ihre Anweisungen, die Fahrer schauen nervös hin und her, einige Passagiere haben noch etwas in den Autos vergessen, aus dem Inneren des Schiffes schwallen Hitze und Lärm, es riecht nach Diesel und Abgasen: Der Inbegriff einer Sommerferienreise - Herrlich :)

Ein "Flying Dolphin", ein Tragflächenboot

Der 900 m lange Anleger für Kreuzfahrtschiffe...



Schon an der Rezeption wird es aber wieder zivilisierter. Es dauert nicht lange bis mich ein altmodisch höflicher Steward zu "meiner" Kabine führt: Ich habe ein Bett in einer innenliegenden 4er Kabine gebucht. Zwei Betten sind bereits belegt, und meine Zimmergenossen wachen kurz auf, als das Licht angeht. Schnell werfe ich meine Sachen aufs Bett und gehe sofort wieder an Deck, denn ich möchte noch ein paar letzte Blicke auf Korfu, Griechenland und Albanien werfen. Ungefähr 3 Stunden lang sieht man noch die Küste, bis sich hinter der Straße von Otranto das Ionische Meer in die Adria aufweitet, und das Land außer Sicht gerät.So lange bleibe ich an Deck und mein Blick wechselt immer wieder zwischen Korfu und der "albanischen Riviera", die ich nun mit anderen Augen sehe, als so viele Male zuvor.

Blick auf Saranda

Erkennt man die Südseite des Llogara-Pass?

Und ein letzter Blick auf das liebe Korfu



Als das Land nicht mehr zu sehen ist, spüre ich langsam, dass es doch eine kurze Nacht war, und gehe für einen Mittagsschlaf in die Kabine. Die Beiden anderen Schlafmützen liegen immer noch in ihren Kojen. Ich schlafe für 2 Stunden und als ich aufstehe, liegt der Typ unter mir immer tatsächlich immer noch in seinem Bett und schaut irgendetwas auf seinem Tablett. "Jeder wie er meint", denke ich mir, und beeile mich, wieder an Deck zu gehen. Inzwischen ist der Himmel etwas zugezogen, aber es ist immer noch wesentlich besser als in der dunklen Kabine. Ich spaziere über das gesamte Schiff, staune über die Menschen, die rauchend vor den Spielautomaten sitzen und setze mich schließlich wieder an Deck, wo ich meine Mitreisenden betrachte. Ich mag das Reisen mit der Fähre: Es werden einem 25 Stunden geschenkt, in denen man in der Sonne sitzen, etwas lesen, oder gar nichts tun kann. Und nicht viel mehr. Zwischendurch esse ich im Restaurant, unter anderem ein vorzügliches Arakas, einen Erbseneintopf mit Tomate, Möhren, Dill und Olivenöl, nehme einen Frappé und gönne mir am Abend an der Bar noch ein letztes Fix. Irgendwann, kurz nach Sonnenuntergang, tauchen nochmal ein paar Inseln auf. Mein Handy verrät mir, dass dies Sveti Andrija und Bisevo sind, vor der Küste Dalmatiens. Von hier aus hatte ich noch 6 Fahrradtage bis Korfu, die Fähre brauchte rund 14 Stunden... Trotz dieses gemütlichen Tages werde ich irgendwann müde und gehe wieder zu meinen Stubenhocker-Kabinengenossen, wo ich ziemlich schnell in einen tiefen Schlaf falle.

Am folgenden Tag werden Argos und ich von Venedig über Vicenza nach Verona fahren, und dort den lieben Kollegen Tobias samt lieber Familie treffen. Das ist mir nochmal einen extra Eintrag wert, den ich aber noch nicht für morgen versprechen kann: Inzwischen bin ich tatsächlich wieder zu Hause und der Alltag hat mich wieder. Dazu wird es vielleicht auch noch ein paar Gedanken geben :) Aber nun gute Nacht für heute.




Bisevo, dahinter Vis

Sveti Andrija

Freitag, 21. Juni 2019

Tag 27: Eine Runde nach Paramonas

Heute lasse ich mich nicht vom Wecker wecken. Als ich aufstehe ist es halb zehn, auch mal schön. Das Frühstück besteht zwar nur aus einer Orange und einem Kaffee (ich habe es irgendwie nicht hinbekommen einzukaufen) aber bis ich loskomme, ist es schon 11 Uhr. Ich mache alles ziemlich gemütlich. Heute  machen wir einen Ausflug nach Paramonas. Es ist ein kleiner Strand im Südwesten der Insel, und aus irgendeinem Grund gehört bei jedem Korfu-Aufenthalt dieser Ausflug dazu. Unterwegs haben sich im Laufe der Zeit auch ein paar Stationen angesammelt, wo wir stets eine Pause machen, um einen Kaffee zu trinken oder die Aussicht zu genießen. Es ist eine Tradition und dieser Tag heißt Paramontag (auch wenn er auf einen Donnerstag fällt).

Zuerst geht es von unserem Dorf etwa 200 hm den Berg hinauf. Oben gibt es einen Aussichtspunkt, von dem man die gesamte Bucht, die vorgelagerten Inseln und Albanien sehen kann. Es halten oft Touristen dort, und auch jetzt sind welche da. Eine Dame mitte sechzig fragt mich, ob die Aussicht den Weg hoch Wert gewesen sei. So komme ich mit Ihr und ihrem Sohn, der etwa in meinem Alter ist, ins Gespräch. Die beiden sind Australier, und wie ich dem Gespräch entnehme, sind sie nicht zum ersten Mal in Europa. Dann erfahre ich, dass der Sohn früher einmal ein sehr ambitionierter Amateurradsportler war. Er ist sogar in seinen frühen Zwanzigern bei ein paar größeren Rennen mitgefahren (Tour of Greece, Tour of the Netherlands). In seinen besten Zeiten kam er wohl auf fast 1000 Trainingskilometer pro Woche - was mir absurd viel für einen Amateur scheint. Dennoch ist ihm der Sprung zum Profi nicht geglückt - durch die Blume habe man ihm zu verstehen gegeben, dass es ohne Doping nicht weiter ginge. Und das habe er auch gemerkt - ein paar Tage konnte er bei den Rennen mithalten, aber irgendwann war es einfach vorbei, die Belastung ist schlicht zu hoch, der Körper kann sich nicht schnell genug erholen. Als ihm das bewusst wurde, hat er das Radfahren aufgegeben. Ich zweifle nicht an seinen Worten. Ich finde es nur schade für ihn, dass er es deswegen ganz aufgegeben hat.


Nun geht es nur für ein paar Kilometer weiter nach Angelokastro. Es ist eine alte Festung (aus byzantinischer Zeit?) auf einem Felsen über dem Ionischen Meer. Eigentlich gibt es von der Burg nicht mehr viel zu sehen - aber die Aussicht ist einmalig. Ich war aber schon oft oben, und weil ich heute noch etwas mehr Weg vor mir habe, fahre ich nur bis zum Fuße des Felsens und mache das obligatorische Bild.




Dann geht es wieder weiter. Die Straße von Angelokastro hinunter nach Paleokastritsa ist wunderschön - eine Miniatur der Amalfitana. Dementsprechend ist es auch ziemlich touristisch. Dennoch halte ich bei einem vertrauenerweckenden Laden und frühstücke: Eine unterdurchschnittliche Spinatpita und ein wirklich schlechtes Croissant. Immerhin wirkt insbesondere Letzteres ziemlich hochkalorisch. Und ein Energiegel schmeckt bestimmt auch nicht besser... Also geht es geschwind weiter nach Paleokastritsa und dann Richtung Süden. Wir kommen nun durch kleinere Ortschaften im Inland, die sofort weniger touristisch sind. Bald bin ich auch schon beim nächsten Haltepunkt: Ein einfaches Café, wo man nett unter Bäumen sitzt, aber kaum etwas los ist. Nach einem Orangensaft geht es weiter. Mir fällt auf, dass man auf den kleinen kurvigen Straßen kaum langsamer ist, als mit dem Auto. Der nächste Stop ist Pelekas, wohl ein ehemaliger Hippie-Ort. Auf einem Hügel gibt es einen schönen Aussichtspunkt, von dem man aus bis zur Stadt und zum Festland schauen kann. Immer wieder schön.







Nun muss ich aber wirklich mal weiter, ich bin es nicht gewohnt, an jeder Milchkanne zu halten. Bis Paramonas gibt es keinen Halt mehr. Als ich ankomme, ist es genau so wie ich es mir vorgestellt habe, genau so wie immer. Es ist ein kleiner, ziemlich ruhiger Strand, keine Party, kein Wasserski. Er ist nach Südwesten ausgerichtet, man schaut auf das weite, offene Meer, es geht immer (wenn ich hier bin) ein auflandiger Wind. Deshalb gibt es auch immer etwas Brandung, deren Rauschen alle anderen Geräusche in den Hintergrund treten lässt. Und die Farben leuchten hier irgendwie intensiver als anderswo. Sollte irgendjemand mal hierher kommen, wird er nach meinen Lobeshymnen vermutlich enttäuscht sein, aber für mich ist es ein magischer Ort. Ich schwimme eine Runde und lege mich noch für einen Moment an den Strand (nicht zu lange, habe doch tatsächlich gestern einen leichten Sonnenbrand bekommen), bevor ich in das Restaurant gehe (gefühlt das einzige). Als Vorspeise gönne ich mir marinierte Sardellenfilets - und dazu ist es mir unmöglich, etwas anderes als Tsipouro zu trinken (ich muss mich wohl langsam rechtfertigen: Zu hause trinke ich weniger). Danach bekomme ich, auf Nachfrage, ein Pastitio, was gar nicht auf der Karte steht. Dieser Auflauf aus Maccheroni, Gehacktem und Bechamel ist eines meiner griechischen Lieblingsessen :) Ich schaue auf die Uhr und muss an ein zweites bewährtes Reisemotto denken: Man soll (weiter)gehen, wenn es am Schönsten ist. Gerne würde ich in der goldenen Nachmittagssonne nochmal an den Strand gehen, aber ich soll weiter, es sind noch gut 60 km bis nach Hause.





So breche ich schweren Herzens wieder auf. Es bleibt aber schön, ich habe das Inselchen ja nicht verlassen :) Durch Olivenhaine komme ich auf kurvigen Sträßchen an die Ostküste, der ich nach Norden folge. Als ich kurz anhalte, um ein Foto zu machen, komme ich mit Timi ins Gespräch. Sie ist Ungarin und hat Geographie studiert. Und weil man davon in Ungarn kaum leben kann, ist sie seit 7 Jahren in Schottland. Sie erzählt mir, dass sie ihre Masterarbeit über irgendwelche buddhistischen Minderheiten in Ungarn geschrieben hat - und dass sie sich im Zuge dessen auch mit den großen Weltreligionen intensiv auseinander gesetzt habe. Allerdings hätten ihre Eltern sie bewusst nicht religiös erzogen, weil sie wollten, dass sie sich selber bewusst für eine Religion entscheidet, wenn sie alt genug dafür sei. Ob das nicht schwierig wäre, frage ich sie. Religion sei ja eher ein Kulturgut, mit dem man aufwachsen, was man von klein auf vermittelt bekommen müsse, um sich darin wiederzufinden. Sie habe in verschiedenen Religionen Aspekte gefunden, die Ihr gefallen, und die würde sie für sich übernehmen. Für einen Moment blicken wir beide nachdenklich aufs Meer. Dann lacht sie: "This is a random conversation, none of us expected.". Wir quatschen noch etwas über Reisen, Essen und den Balkan, bis ich mich verabschiede - ich muss nun wirklich los, wenn ich nicht im Dunklen nach Hause kommen möchte.

Auf dem Rückweg nehme ich noch schnell ein Eis in der Stadt. Den Schlenker gönne ich mir auch noch: Korfu Stadt gilt als eine der schönsten Städte Griechenlands - ich persönlich bin überzeugt, dass es die schönste ist. Die Altstadt ist stark von den Venezianern geprägt und irgendwann waren auch noch die Engländer da und ließen großzügige parkähnliche Grünflächen anlegen. Leider, wie vieles auf Korfu, recht touristisch, aber im Vergleich zu z.B. Dubrovnik doch geradezu authentisch ;) Argos tollt beim Einfahren in die Stadt ausgelassen zwischen den sich stauenden Autos herum. Er ist heute ziemlich leichtfüßig, da wir außer Flickzeug kaum etwas dabei haben. Dann kommt der Heimweg, den ich inzwischen auch mit Argos schon ganz gut kenne. Am Ende waren es rund 115 hügelige, wunderschöne Kilometer.

Morgen ist schon unser letzter Tag auf Korfu. Neben Aufräumen und Packen wird es nochmal ausgiebig Zeit für den Strand geben (soviel gibt es ja gar nicht zu packen). Samstag Morgen geht die Fähre ab Korfu-Stadt nach Venedig, wo wir am Sonntag Morgen ankommen werden. Von dort fahren wir (auf eigenen Rädern) nach Verona, wo wir einen lieben Kollegen treffen, der zufällig auch gerade dort ist. Und am Montag fahren wir mit der Eisenbahn zurück nach Düsseldorf. Die letzten Abenteuer dieser Reise werde ich also wahrscheinlich in einem Beitrag am Dienstag zusammenfassen. Hoffentlich wird es nicht all zu abenteuerlich. Falls doch, kommt vielleicht auch schon früher ein Eintrag :) Nun aber gute Nacht für heute.





Mittwoch, 19. Juni 2019

Tag 25: Von Parga nach Pagi (Korfu)

In dieser Nacht schlafe ich zuerst mit Klimaanlage, die ich dann aber nach ein paar Stunden, als ich zufällig aufwache, wieder abschalte. Himmlisch, diese Ruhe! Kurz bevor der Wecker klingelt wache ich dann aber doch auf, weil es wieder ziemlich warm ist. Eigentlich ganz gutes Timing. Gemütlich mache ich mich fertig, denn heute wartet eigentlich nur ein halber Tag auf mich. Unten vor dem Haus treffe ich Elona, die sich um die Vermietung kümmert. Sie unterhält sich mit einer griechischen Dame, um die 60. Die Dame heißt Kiria Voula, also Frau Voula, wie ich bald erfahre (in Griechenland ist es, außer bei sehr formellen Anlässen, üblich, Personen die man siezt mit Frau bzw. Herr und dann dem Vornamen anzureden; in meinem Fall also Herr Thomas). Kuria Voula fragt mich, ob mein Fahrrad ein E-Bike wäre, ihr Sohn habe sich nämlich eines gekauft und sei sehr zufrieden. Sie kann gar nicht verstehen, warum ich nicht auch ein E-Bike benutze, das wäre doch so viel angenehmer bei den ganzen Bergen. Ich versuche gar nicht erst, es ihr zu erklären… Dann erzählt sie von ihrem Sohn, der in Zürich lebt und „Ingenieur für Flugzeuge" ist. „Bravo" sage ich, völlig ohne Ironie. Während es in Deutschland eher üblich ist, nicht mit seinem gesellschaftlichen Status zu hausieren, habe ich es in Griechenland schon häufig erlebt, das jemand sich vorstellt und direkt seinen Beruf dazu sagt – wenn es denn ein angesehener Beruf ist. Und dementsprechend ist es auch üblich, Anerkennung dafür zu zollen. Dann erfahre ich, dass Kiria Voila auch in Zürich lebt. Wie viele Griechen, die mehr als die Hälfte ihres Lebens im Ausland verbracht haben, ist sie sehr streng mit ihrer Heimat und zieht verschiedene Vergleiche mit der Schweiz (Müllentsorgung, Radwege…). Das ist aber auch wirklich ein harter vergleich: In vielen Dingen liegen die hoch reglementierte Schweiz und das Laissez-faire Griechenland diametral auseinander. Mit entsprechenden Vor- und Nachteilen auf beiden Seiten. Als ich mich verabschiede, bekomme ich nochmal die Vorteile Griechenlands in Form von rührender Herzlichkeit geboten: „Alles Gute für Dich, mein Junge. Fahr vorsichtig, mein Kind…" Ist das griechische oder mediterrane Herzlichkeit? Ich erinnere mich, dass mir vor rund 11 Jahren in Turin in einem Schuhgeschäft die Verkäuferin in die Wange gekniffen hat… Jedenfalls fühle ich mich, als würde ich mich von einer Tante verabschieden.

Bis Igoumenitsa sind es gut 50 km entlang der Küstenstraße. Es ist schon recht warm und geht viel auf und ab, aber gottseidank gibt es wenig Verkehr und es ist eine schöne Landschaft. Ich komme durch Syvota und Plataria, einen größeren und einen kleineren Badeort, und plötzlich wird mir bewusst, dass ich gleich schon in Igoumenitsa sein werde. Zufällig komme ich an einem Schild vorbei: „Plas Gata", der Katzenstrand. Ich denke mir zuerst nichts dabei, aber ein wenig weiter sehe ich eine kleine Kieselbucht mit klarem Wasser, umrahmt von Olivenwald. Ein sehr verlockender Anblick. Und wenn sich auf Reisen ein Motto bewährt hat, dann dieses: „Man soll die Feste feiern, wie sie fallen." Also ab an den Strand. Es ist wirklich sehr angenehm: Klein, ruhig, sauber und ich bin fast der einzige Nicht-Grieche. Es gibt eine kleine Kantina, also einen alten Wohnwagen, wo man Getränke und ein paar Kleinigkeiten zum essen kaufen kann. Ein Mädchen mit einer sehr tiefen Stimme bringt mir einen Toast und einen Tsipouro und so verbringe ich einen bequemen, sonnigen Nachmittag.

Kurz nachdem ich losgefahren bin, erreichen wir auch schon Igoumenitsa. Dieses Mal schaffe ich zum Glück die 18.30 Uhr Fähre. Die Überfahrt verbringe ich an Deck und beobachte die Möwen, die das Schiff begleiten. Geschickt „surfen" sie auf der Umströmung des Schiffes (die gasförmige Phase), so dass sie kaum einen Flügelschlag zu tun brauchen. Sie haben nicht den blassesten Schimmer von Potentialströmungen, geschweige denn von den Navier-Stokes Gleichungen, aber sie kommen mit der Strömung besser zurecht, als Theodore von Kármán persönlich.

Auf dem Heimweg vom Hafen esse ich noch schnell eine Kleinigkeit und lade schon mal die Bilder des heutigen Tages über das WLAN hoch (mein Datenvolumen geht bereits wieder zur Neige). Als ich dann ankomme, stehen für heute 84 km auf dem Tacho – ein ziemlich entspannter Tag.

Ich habe nun noch drei Tage hier auf Korfu, bevor ich die Fähre nach Venedig nehme. Morgen wird es ein ganzer Ruhetag (deswegen wird es auch keinen Bericht geben, außer es passiert etwas ganz Verrücktes). Übermorgen wollen Argos und ich aber noch eine Runde drehen: Es gibt einen klassischen Ausflug in den Süden der Insel, den meine Schwester und ich eigentlich jedes Mal machen, wenn wir hier sind. Mal sehen, wie das mit dem Rad geht. Den nächsten Bericht gibt es also spät am 20. bzw. morgens am 21. zu lesen. Bis dahin und gute Nacht für heute.

Dienstag, 18. Juni 2019

Tag 25: Die Bilder

Das ist eine Μπουγάτσα (Bougatsa)



Das sieht doch verlockend aus...

"Plas Gata" - Der Katzenstrand

Argos bewacht Stinkehose, Stinkesocken und Stinkeschuhe (oder anders herum?)

Auch mal nicht schlecht (der Typ links ist übrigens nicht übermäßig behaart, sondern großzügig tätowiert)





Immer wieder ein Hingucker: Die Altstadt von Korfu i


Tag 24: Von Vourgareli (Pindos-Gebirge) nach Parga (Ionisches Meer)

Die Vorhänge verdunkeln das Zimmer nur leicht, so dass ich in den frühen Morgenstunden die Schlafmaske aufziehe. Als dann der Wecker klingelt, schlafe ich tatsächlich tief. Noch im Bett liegend ziehe ich die Vorhänge beiseite und sehe das:


Ein ziemlich guter Start in den Tag. Schnell mache ich mich fertig. Zum Frühstück gibt es unter anderem eine Γαλατόπιτα, eine "Milchpita". Pita kann in Griechenland so ziemlich alles sein, was man irgendwie an Teig im Ofen zubereiten kann - egal ob süß oder herzhaft, Blätterteig oder nicht. Diese erinnert mich ganz entfernt an einen Käsekuchen - habe ich so noch nicht gegessen, und das passiert mir in Griechenland nicht mehr oft. Sehr lecker :)

Als ich losfahre, komme ich noch mit einem israelischen Paar ins Gespräch. Die beiden sind zum Wandern hier, und ich habe mir fest vorgenommen, das nächste Mal auch Wanderstiefel und etwas mehr Zeit im Gepäck zu haben - es ist eine tolle Gegend. Er fragt mich, ob mir das ganze auf und ab nichts ausmache. Ich zucke mit den Schultern und denke noch über eine Antwort nach, als er mir zuvorkommt: "Ah, that's life.", bringt er es auf den Punkt.

Als ich losfahre, merke ich, wie sich ein warmes Gefühl der Zufriedenheit in mir ausbreitet. Der Himmel ist blau, ich bin in einer schönen Landschaft, Argos fühlt sich gut an und vor mir liegt nichts als ein weiterer Tag Radfahren - welch ein Glück! Zu allem Überfluß werde ich heute auch noch eine deutlich negative Höhenbilanz haben - Vourgareli liegt auf etwas über 700 m.ü.A. und wir fahren ans Meer. Dementsprechend geht die Straße in Serpentinen ausdauernd bergab - ich überhole einen LKW - bevor der nächste Anstieg kommt. Mit geschätzten 6 % Steigung zieht er sich lange dahin, aber lässt mir genügend Luft, um die Umgebung zu genießen. Die Straße gehört mal wieder fast Argos und mir allein, sehr angenehm. Nach diesem längeren Anstieg kommt eine entsprechende Abfahrt, und dann sind auch schon die ersten 60 km des Tages um, als ich im Städtchen Arta ankomme. Es ist zwar noch recht früh für eine Pause, aber Arta wollte ich mir schon immer mal ansehen. Allerdings ist es gerade kurz vor 14 Uhr und die Stadt ist wie ausgestorben - Siesta. Selbst die meisten Kioske sind verschlossen. Ich finde einen Laden, der verschiedene Pitas anbietet. Allerdings haben sie eine Aktion und man erhält beim Kauf einer Pita eine weitere dazu. Ich möchte zwei - aber zwei unterschiedliche. "Kein Problem", meint das Mädchen, ich könne eine andere zum selben Preis nehmen. "Ich möchte aber zwei zu unterschiedlichen Preisen, ich zahle einfach die Teurere." - "Nein, das geht nicht." - "Aber wenn ich die Teurere zahle...". Sie bleibt beharrlich, und ich fühle mich ein bisschen wie bei einem Amt. So muss ich leider eine Bougatsa dazu nehmen, ein Blätterteiggebäck mit einer speziellen Vanillecreme-Füllung, Puderzucker und Zimt :) Nach dem Essen setze mich noch schnell in ein Café und mache etwas, das man heutzutage in einem hippen Laden in Griechenland eigentlich nicht mehr tut: Ich bestelle einen Frappé - einen kalten, aufgeschäumten Nescafe auf Eis, mittelsüß mit einem Schuss Kondensmilch. Ein super erfrischendes Getränk im Sommer, und bis vor einigen Jahren der Renner, vermutlich sogar eine griechische Erfindung. Ich bin restlos überzeugt von diesem Getränk. Allerdings bevorzugen die jüngeren Griechen heutzutage Freddocappucino und Freddoespresso. Auch beides aufgeschäumt, auf Eis und nicht übel. Allerdings stellen sie den Frappé zu Unrecht in den Schatten - er gilt wohl immer mehr als der Kaffee der Taxifahrer... Ich arbeite daran, dem Frappé zu einem coolen Comeback zu verhelfen - die Adilette ist ja auch wieder gekommen ;)


Sind das nicht Kapern?





Das Wahrzeichen von Arta

Ab Arta ist es ziemlich flach. Nach den letzten beiden Tagen weiß ich dies wieder zu schätzen - auch wenn ich gerne in den Bergen fahre, ist es doch ein gutes Gefühl, in der Ebene schnell unterwegs zu sein. Hinter dem Ortsausgang von Louros treffe ich einen anderen Radreisenden - Vincent aus Paris. Sein Rad sieht eher nach klassischem Tourer aus, mit Taschen am Gepäckträger und der Gabel. Er staunt über mein leichtes Gepäck und ich über sein schweres. Allerdings ist er auch schon seit Mitte April unterwegs. Als ich ihn frage, was er macht, dass er sich so lange frei nehmen kann, antwortet er ausweichend, er habe ein ganzes Jahr freigenommen. Da ist es verständlich, dass er etwas mehr Gepäck dabei hat. Sein nächstes größeres Ziel ist Athen. Erstaunlich wie viele Leute Athen entweder als Ziel oder auch als Startpunkt ihrer Reise wählen. Offenbar übt es auf viele Europäer einen gewissen Zauber aus.

Bald komme ich auch schon in Kastrosikia an, meinem eigentlichen Ziel für heute. Irgendwann in meiner Kindheit haben wir hier mal als Familie Ferien gemacht. Ich schaue über den Strand, hinaus aufs Meer und bin hingerissen: Die Nachmittagssonne taucht alles in ein goldenes Licht, der Wind fährt durch die Oliven und lässt sie silbrig-grün schimmern, auf dem tiefblauen Meer ist ein Kitesurfer unterwegs. Ein unwirklich schöner Anblick. Besonders nach dem Regen in den Bergen, gestern.




Aber es ist erst viertel nach fünf - eigentlich noch zu früh zum Einkehren. Kurzerhand entschließe ich mich, noch 40 km weiter zu fahren - nach Parga. Parga ist ein bekannter, und ziemlich touristischer Badeort, aber trotzdem sehr schön. Der Weg dorthin führt zum Teil über eine Bundesstraße, aber auch über Nebenstraßen. Auf einer davon wimmelt es nur so vor Libellen. Dummerweise fliegen sie meist kreuz und quer über die Straße, und ein paar Male macht es ein unschönes Geräusch, als sie in Argos Speichen fliegen :( Dann kommen wir an einer Schafherde vorbei, die wieder von drei sehr professionellen Hunden bewacht wird. Der erste bellt direkt (um seine Kollegen zu alarmieren, wie Argos mir erklärt), und läuft zum Glück nicht auf uns zu, sondern parallel, zwischen seinen Schützlingen und uns. Als er seinen Kollegen erreicht, bleibt er stehen und dieser begleitet uns weiter, und beim dritten passiert wieder das gleiche. Er läuft bis zum Ende der Herde mit. Wirklich beeindruckend. Argos und ich haben ein wenig über das Verhalten von Hunden gegenüber Radfahrern nachgedacht und sind zu folgendem Ergebnis gekommen: Gefährlich wird es immer, wenn der Hund etwas zu beschützen hat - eine Herde oder ein Haus. Die Αδέσποτη, die herrenlosen Hunde, machen eigentlich nie Probleme. Entweder sind sie zutraulich, oder sie gehen einem einfach aus dem Weg. Aber eigentlich sind ja alle Hunde, wirklich alle, den Menschen wohl gesonnen. Außer ein paar ganz wenige Außnahmen, die einfach nicht alle Latten im Zaun haben - aber die gibt es unter den Menschen selber ja auch.

In Parga gibt es eine Burg auf einer Halbinsel, mit je einer Bucht nördlich und südlich davon. Meine Unterkunft ist genau in der Mitte. An der nördlichen Bucht ist es sehr touristisch. An der südlichen Bucht ist es maximal touristisch. Ich bleibe auf der nördlichen Seite, finde eine nette Bar und nehme vor dem Essen noch einen Tsipouro als Aperitif. Dazu bekomme ich sehr leckere frische Kirschen gereicht, was überraschend gut passt. Ich muss an ein Zitat denken, leider weiß ich nicht mehr von wem: "Der Tourist zerstört was er sucht, indem er es findet." Hier haben wir noch etwas übrig gelassen.

Morgen geht es zurück nach Korfu. Es ist gar nicht mehr weit, und ich würde ziemlich früh ankommen. Vielleicht nutze ich hier oder unterwegs nochmal meine Badehose, oder sehe mich in Igoumenitsa noch etwas um, oder mache noch einen Spaziergang durch die Stadt auf Korfu. Mal sehen. Gute Nacht für heute.