Freitag, 31. Mai 2019

Tag 6: Über die Großglocknerstraße und die Drau in die Karnischen Alpen

Heute war der absolute Knaller-Tag – ich bin immer noch völlig begeistert! Aber eines nach dem anderen. Vielleicht vorab noch die Bitte um Entschuldigung, dass bei diesem Eintrag die Bilder erst morgen separat kommen und keine Bildunterschriften haben. Das WLAN funktioniert nicht und ich muss Daten sparen und per Email veröffentlichen…

Ich werde vom Wecker geweckt und muss erstmal überlegen, wo ich bin. Beides passiert mir nicht oft. Am Frühstücksbuffet höre ich, dass die vier anderen Gäste sich auf Griechisch unterhalten. Ich frage kurz, ob sie zum Urlaub oder zur Arbeit hier sind. Sie sehen mich verdutzt an – „Zum Urlaub." Ich sitze gerade wieder an meinem Tisch als sie mich rufen „Was sitzt Du da alleine, komm doch rüber zu uns!". Ich setze mich zu ihnen und mir wird bewusst, dass sie typische Griechen sind. Ich kann es kaum beschreiben, aber die Art wie sie lachen, reden, miteinander umgehen und auch mit mir ist einfach anders. Nicht besser oder schlechter, genauso wenig wie man sagen kann, dass Berge oder Meer besser oder schlechter wären, nur anders. Ich mag es, diese Unterschiede zu sehen. Und sie erinnern mich an ein paar griechische Freunde. Wir unterhalten uns über unsere Pläne: Sie sind mit Motorrädern unterwegs und wollen heute nach Meran – auch über die Glocknerstraße. Wir machen noch ein paar Witzchen und verabschieden uns.

Kurz nachdem ich losgefahren bin, halte ich nochmal, um Argos Kette zu schmieren – sie hat die letzten beiden Tage ganz schön gelitten. Dann geht es endlich nach oben. Fusch, wo ich übernachtet habe, liegt auf 800 m, ich habe also erstmal rund 1600 hm vor mir. Es hat ca. 8 Grad, der Himmel ist grau. Ich überschlage kurz, welche Temperaturen mich oben erwarten – brrr. Erstmal weiterkommen. Nach den ersten 300 hm hört mein linkes Knie auf zu schmerzen (es tut seit dem Vorabend weh) und, hört hört, mein Hintern und der Sattel haben sich in ihrem Nachbarschaftsstreit, angesichts der heutigen Aufgabe, auf einen Waffenstillstand geeinigt. Allerdings werde ich unruhig: Ich erkenne etliche, der mir entgegenkommenden Autos wieder – die haben mich doch eben erst überholt?! Mir schwant Böses. In Ferleiten ist der offizielle Beginn der Strecke, mit Mauthaus und Schranke. Als ich dort ankomme, sehe ich, dass die Straße gesperrt ist. Oh Mann. Die Dame bei der Information erklärt mir, dass man bis Fuschertörl fahren könne (2400 m, von dort geht's noch etwas ab und auf, bis der höchste Punkt auf rund 2500 m kommt). Danach nur mit Ketten. Auf meine Frage, ob man im Laufe des Tages noch rüber könne, wiegt sie nur den Kopf. Ich lege es positiv aus – sie hat es mir nicht ausdrücklich verboten – und fahre los.

Die Wolken werden immer dichter und ich sehe leider nicht viel, aber dafür sind kaum Autos unterwegs. Die Straße hat an manchen Stellen geschätzte 12 % Steigung, meist aber etwa 10. Zunächst komme ich gut voran, aber ich merke doch, dass s immer kälter wird. Ich bin mit kurzer Hose und oben immerhin mit Armwärmern unterwegs, aber ich bin in diesem merkwürdigen Zustand, wo man schwitzt und gleichzeitig friert. So wird das nichts. Bei 1600 hm gibt es einen Souvenirladen mit einem winzigen Café. Ich beschließe einzukehren und setze mich zu dem einzigen anderen Gast an den Tisch. Nachdem ich mir mein zweites Paar Socken, die Regenüberschuhe, die Beinlinge, die Regenjacke und die langen Handschuhe angezogen habe, geht's weiter (Zeit für einen Topfenstrudel und 2 Kaffee war auch noch ). Wieder draußen, fühle ich mich erheblich besser. Die nächsten 600 hm kurbele ich im Flow, bis 2 offenkundig indische Landsleute vor einem VW Bus mich zu sich winken. Inzwischen ist es ca. 3 Grad „warm", neben der Straße liegt dicker Schnee, es ist reichlich ungemütlich, aber die beiden möchten ein Foto mit mir. Wir unterhalten uns kurz, sie machen eine 12 tägige Reise durch Deutschland und Österreich. Als sie mich ragen, ob das an meinem Fahrrad spezielle Vollgummireifen wären und warum ich nicht „on the Highway" fahren würde, wird mir bewusst aus welch unterschiedlichen Welten wir kommen – und für was für einen verrückten Vogel sie mich halten müssen. Wir wünschen uns gegenseitig herzlich alles Gute und es geht weiter.

Schließlich komme ich am Fuschertörl an. Bei guter Sicht genießt man dort ein überweltigendes Panorama, wie es eigentlich Bergsteigern vorbehalten ist. Heute sehe ich nichts, das Wasser in der Luft ist gefühlt im Tripelpunkt, es hat immerhin noch 2 Grad und ist ziemlich windig. Also nur schnell ein Zielfoto und weiter. Es geht wieder leicht bergab und ich tippe die Vorderbremse an. „Peng" sagt das Vorderrad. „Oh nein, bitte nicht." sage ich. „Doch doch, klimper klimper." Sagt das Vorderrad: Eine Speiche ist gebrochen. „Du wolltest doch Abenteuer – enjoy!" sagt eine Stimme aus dem off. „Ruhe jetzt, alle zusammen!" herrsche ich in die Runde. Theoretisch kann man mit einer gebrochenen Speiche noch weiterfahren. Aber bei Scheibenbremsen müssen die Speichen auch die Bremskräfte von der Scheibe über die Nabe auf die Felge übertragen – und ich habe noch 1800 hm Abfahrt vor mir. Ich schaue genau hin: Natürlich ist die Speiche im Nippel gebrochen, er muss also auch raus. Also Reifen und Felgenband auch runter. Ich habe zwar alles was ich für die Operation an Argos benötige dabei, aber meine Erfahrungen im Speichenwechseln beschränken sich auf das Anschauen einiger Youtube-Videos. Hier draußen schaffe ich das auf keinen Fall. Gottseidank stehe ich direkt vor einem weiteren Souvenirladen. Die Dame ist so freundlich, ich drinnen herumbasteln zu lassen, außer mir ist sowieso niemand da. Es klappt alles erstaunlich gut. Eigentlich müsste ich die Felge noch genau zentrieren, aber für den Moment stelle ich die neue Speiche so ein, dass sie beim Anzupfen einen ähnlichen Ton abgibt, wie ihre Nachbarn und siehe da, es passt halbwegs.

Allerdings sagt meine Retterin, dass die Abfahrtnach Heiligenblut nur mit Ketten passierbar sei, da käme ich nicht runter. Hm, was mache ich dann? Zurück nach Fusch und morgen alles nochmal? Wenn man hier oben irgendwo übernachten könnte… Ich rufe bei der Hütte auf der Edelweisspitze an, einem benachbarten Gipfel, vielleicht 200 hm von hier. Ja, sie hätten Zimmer, aber die Straße sei nicht geräumt. Irgendwann käme aber der Schneepflug. „Schnickschnack", denke ich und mache mich auf den Weg. Es geht zuerst ein Stück zurück, dorthin von wo ich gekommen bin, bis eine Kopfsteinpflasterstraße zur Edelweißspitze abzweigt. Ich passiere das dortige Restaurant und die geschlossene Schranke, aber nach 50 m muss ich einsehen, dass es nicht geht, mit Fahrradschuhen und dem leicht übergewichtigen Argos. Außerdem ist mir schon wieder kalt, trotz Daunenjacke. Enttäuscht gehe ich in das Restaurant, um einen Tee zu trinken. Aber bevor ich bestelle, erkläre ich der Bedienung meine Situation. Sie telefoniert etwas herum, ob ein anderer Berggasthof ein Zimmer für mich hätte – nichts. Dann ruft sie für mich bei dem Straßendienst an und fragt, ob die Abfahrt inzwischen möglich sei. „Eigentlich nicht.", sagt sie. Dann mustert sie ich von oben bis unten: „Aber an Deiner Stelle würde ich es einfach versuchen, musst halt vorsichtig sein.". Das hatte ich gebraucht, diesen kleinen Schubs. Ich bedanke mich und jauchze fast, als ich mich auf den Weg mache. Es geht zunächst ein Stück, ca. 100 hm, runter und dann langsam wieder hoch. Im Anstieg steht irgendwann ein Pritschenwagen vor einer geschlossen Schranke. Bis hierhin war die Straße top geräumt. Ich halte bei dem Wagen und frage die beiden, ob ich rüber könne. „Na, Ketten hast wohl koi dabei." , flachst der Fahrer. Humor ist immer ein gutes Zeichen. Sie funken kurz etwas unverständliches, nicken und sehen mich streng an: „Es sind Räumfahrzeuge auf der Straße, es ist deSchneefräse auf der Straße, es ist schweres Gerät auf der Straße!" – „Verstanden, piano." grinse ich. Dann fahre ich an der Schranke vorbei und bin wirklich in einer anderen Welt. Kein einziges Auto mehr, nur weiß, 100 % graupelige Luftfeuchte, Schnee, Schnee, Schnee und Argos und ich. Irgendwann kommt mir die Schneefräse entgegen, mähdreschergroß und den Schnee wegfressend, wie eine riesige Raupe. Dann kommt das Hochtor, ein Tunnel am höchsten Punkt, ca. 200 m lang und schnurgerade. Normalerweise kann man durchsehen, heute schaut man in ein dunkles, nebelsaugendes Loch. Argos und ich haben eine Welt betreten, in die Menschen, zumindest heute, nicht hingehören. Schaurig schön. Nach 2/3 des Tunnels nähert sich von hinten ein Donnergrollen – ein Räumfahrzeug überholt uns mit aufgesetztem Schild. Auf der anderen Seite gibt's ein schnelles Gipfelfoto und dann geht's hinab. An 2 Stellen sind ein paar Schneeflatschen auf der Straße, aber Argos umkurvt sie lässig. Als es wärmer wird, lassen wir es laufen. An der südlichen Mautstelle schauen ein paar holländische Motorradfahrer erstaunt, als ich die gesperrte Schneekettenstraße runterkomme :)

Nach zwei weiteren, viel kleineren Pässen komme ich in Kötschach an. Es ist ziemlich kalt – zumindest fühlen sich die 9 Grad für mich nicht nach Camping an, und ich nehme mir ein Zimmer in einer Pension italienischen Namens. Es ist schon um acht Uhr als ich ankomme, also für österreichische Verhältnisse urspät zum Abendessen. Gottlob, zu meiner Herberge gehört ein Restaurant. „Cucina tipica italiana", lese ich, und mir ist sofort weniger kalt. Ich gehe rein, das Restaurant ist gut besucht. Als der Chef mich beim 2. Versuch nicht versteht, versuche ich es auf Italienisch – „Aaaaah, parli italiano!". Er erklärt mir, dass die Küche bis 10 Uhr geöffnet ist, und als er mir mein Zimmer zeigt, habe ich den Eindruck, dass er eher nochmal schauen möchte, ob alles in Ordnung ist (zumindest lässt er noch diskret eine fat aufgebrauchte Rolle Toilettenpapier verschwinden. Jackpot – un vero Italiano, ein richtiger Italiener. Das Abendessen war super und sogar die Handtücher riechen etwas italienisch. Ich bin begeistert.

Morgen geht es über den Plöckenpass in das echte Italien, über Udine nach Triest. Gute Nacht für heute.

5 Kommentare:

  1. Mensch Thomas, ein echter Krimi: Argos ohne Schneeketten über die Pässe laufen lassen und dann noch Speichenbruch. Gönn Deinem treuen Gefährten eine Sonnenpause und eine große bistecca florentina als Belohnung in Bella Italia. Ich beneide Euch sehr, liebe Grüße André

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    1. Hallo Andre und Nina, vielen Dank :) Ja, war superspannend und - und ist am Ende alles gut gegangen.

      Liebe Grüße an Euch Beide und ein schönes Wochenende,

      Thomas

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  2. Buongiorno, Thomas! Junge, da hast du ja echt alles mitgenommen was ging an dem Tag! Aber super gemacht! Die Gesichter der Motorradfahrer hätte ich auch gerne gesehen!
    Hast dir dafür ein, zwei Stiegl mehr verdient!
    Weiterhin gute Reise euch zwei Helden!

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    1. Buongiorno Reinhold,

      habe dabei oft an Dich und unsere gemeinsame Überfahrt gedacht :) Bin heute auch wieder auf unseren Spuren gewandelt.

      Liebe Grüße aus ... Trieste,

      Thomas

      P.S.: Muss mich beeilen, habe eine Verabredung mit Signor Negroni :)

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  3. Was für ein Krimi. Die Strecke kenne ich mit dem Auto natürlich nur bei Sonnenschein (und mit vielen Touristen). Ich finde das schon unglaublich die Tour bei 15 Grad und Sonnenschein mit den Rad zu fahren. Aber vielleicht ist es sogar sicherer, bei Schnee und Glätte alleine auf der Straße zu sein, als sie sich mit Sonntagsfahrern teilen zu müssen ;-) .
    Ich freue mich jeden Tag auf den neuen Bericht.
    Weiterhin gute Fahrt und nur nette Menschen.

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