Donnerstag, 30. Mai 2019

Tag 5: Nach Österreich, durch Tirol ins Salzburger Land


Heute habe ich ziemlich gut geschlafen. Zwar wache ich vor dem Wecker auf, aber ich fühle mich frisch und erholt. Beim Frühstück bin ich dann doch wieder der Letzte; irgendwie ist auf dieser Reise mein Rhythmus nach hinten verschoben. Ich nehme mir vor, irgendwie früher dran zu sein und auch früher ins Bett zu gehen, ohne genau zu wissen wie - das Leben eines Rad-Landstreichers ist doch sehr ausgefüllt.


Als ich mein Zimmer verlasse, fällt mir auf, dass ich einen ziemlichen Saustall hinterlassen habe: Obwohl ich versucht hatte, vorsichtig zu sein, habe ich wohl den Straßendreck überall verteilt - es knirscht bei jedem Tritt. Schuldbewusst lasse ich etwas Geld auf dem Tisch liegen, was ich normalerweise nicht tue. Diese Unterkunft war mir sehr sympathisch, bodenständig und zugleich höflich, mit einer nicht abgehobenen aber feinen bayrischen Küche. Da möchte ich auch ein guter Gast sein.


Allerdings liegt das Haus auf einem kleinen Hügel, und als ich starte und im Regen hinabrolle, merke ich sofort trotz Armwärmer, wie bitterkalt es ist. "Du musst halt erstmal warm werden", denke ich. Außerdem komme ich nun nach Flintsbach am Inn, wo ich mal ein Auto gekauft habe. Ich versuche, an die damalige Fahrt hierher zu denken - damals waren mein Vater und ich an einem Tag hin und wieder zurück gefahren, während ich inzwischen den 5. Tag unterwegs bin! Es hilft aber nichts, es ist einfach zu kalt. Das Thermometer zeigt 8 Grad, die sich für mich noch wesentlich kälter anfühlen. In einem Vorgarten sehe ich drei Kinder fröhlich in einer Schaukel sitzen - bei einstelligen Temperaturen im Regen. Diese Bergbewohner sind vielleicht doch anders drauf... Bei einer kurzen Pause sehe ich ein paar Schnecken, von denen zwei - ich weiß auch nicht was - tun. Denen ist offenbar auch nicht kalt.


Mache sich jeder ein eigenes Bild

So sehen sie einzeln aus. Sind die eigentlich essbar?

Dieser Gesichtsausdruck ist ein blanker Euphemismus

Ich überquere den Inn und damit die Österreichische Grenze. Eigentlich hat das Überschreiten einer Staatsgrenze für mich immer etwas Feierliches. Dieses Mal allerdings leider gar nicht. Es ist wirklich unangenehm nasskalt, und obwohl es objektiv noch keine bedrohliche Situation ist, bin ich recht konsterniert. Ich habe vielleicht 20 km hinter und noch über 100 vor mir und weiß, dass ich es so nicht schaffen werde. Direkt hinter der Grenze ist ein rasthausähnliches Restaurant. Kurzentschlossen parke ich Argos unter dem Vordach und stapfe triefend hinein. Ein anderer Gast sieht mich mitleidig an und deutet sofort in Richtung Toilette, wo ich erstmal den Handtrockner benutze. Ein paar Motorradfahrer sind auch da: Heute Morgen von Nürnberg gestartet, wollen sie heute noch nach Slowenien. Verrückt schnell, denke ich. Wir fluchen gemeinsam etwas über das Wetter, und dann trinke ich einen Kaffee. Das Regenradar sagt, dass es in einer halben Stunde etwas weniger würde, ich trinke also noch einen Kräutertee. Der Laden selbst ist auch eher sparsam geheizt, so dass ich irgendwann meine Daunenjacke anziehe. Langsam taue ich so wieder auf und beschließe, das Teil unter der Regenjacke an zu lassen. Eine gute Entscheidung: Als ich losfahre ist es ok und irgendwann sogar fast gemütlich. Ich komme sogar wieder dazu, die Umgebung zu genießen.

Ich fahre gerade einen kleinen Weg durch den Wald von Kufstein nach Walchsee hinauf, als plötzlich ein anderer Radler an mir vorbei brettert. Es geht ziemlich steil bergauf und er ist bestimmt 10 km/h schneller als ich. Mit klassischen Packtaschen und einem selbstgebauten Regenschutz aus Mülltüten. Nach wenigen Augenblicken kommt noch einer, selbes Tempo, selbes Setup. Ich beobachte gierig das Fahrrad, das muss doch ein E-Bike sein. Kein Mensch kann hier so schnell hochfahren. Oder die, die es doch können sind gerade geschlossen beim Giro d'Italia... Egal, Argos und ich sind uns einig, dass wir sie ziehen lassen, unwirklich schnell wie sie sind. Bald kommt Walchsee. Ich halte die Augen offen, weil ein Kollege hier Urlaub macht, aber er hat offenbar besseres zu tun als bei Regen und einstelligen Temperaturen an der Straße zu stehen. Gut für ihn :) Wenig später überhole ich die schnellen Jungs mit den Mülltüten. Es sind E-Bikes: Fahren bergauf 25, aber geradeaus eben auch nicht schneller :) Einer flachst zu mir rüber: "Unverschämtheit, hast wohl n E-Bike!!". Auf diesen Moment habe ich lange gewartet: "Ne, ein Muscle-Bike.". Gelächter auf beiden Seiten, während Argos die Brust schwillt vor Stolz. Die beiden sind Sachsen, was man an Dialekt und Humor merken kann :) Im Gegensatz zu mir haben sie es bald geschafft: "Dreißig Kilometer reichen bei dem Regen." Eigentlich hat er Recht, aber ich will nicht so viel darüber nachdenken.

Über Waidring und Lofer geht's weiter, nun in Richtung Süden. Es hat sich richtig schön eingeregnet, aber mit der Daunenjacke ist es ok. Ich habe nur Sorge, dass sie auch nass wird, aber anders geht es gerade nicht. Inzwischen bin ich hungrig und beschließe die nächstbeste Gelegenheit zu nehmen. Ein riesiger Gasthof taucht auf, mit einem Reisebus davor. Hm, vielleicht setze ich doch noch einmal aus. Der nächste Ort heißt St. Martin und ist dementsprechend gnädig mit mir - ich finde einen Bäcker/Konditor mit angeschlossenem Café (ein richtiges Café, keine Stehtische). Diese Läden in Österreich (und auch oft Bayern) liebe ich. Sie haben keine ausgefallenen hippen Namen, sondern heißen schlicht "Bäckerei Familienname" und bieten eine feine Auswahl vorzüglicher Backwaren an. Übrigens habe ich insgesamt den Eindruck, dass es hier (und in Bayern) noch viel weniger Bäckereiketten gibt, und dass stattdessen noch viel mehr Bäcker selber backen. Die Dame an der Theke schaut mich zunächst skeptisch an, als ich andeute, im Café essen zu wollen (ich bin dreckig und triefend), aber ihr Mitleid siegt. So bekomme ich die obligatorische Leberkässemmel, einen Topfenstrudel mit Sahne und einen Bienenstich - alles in landestypischer Größe, so dass ich leider weder Mohnstriezel, noch Nussschnecke probieren kann. Diese Esserei ist echt mit das Beste am Radeln - heute auf jeden Fall.

Irgendwann komme ich dann tatsächlich in Fusch an der Großglocknerstraße an. Morgen möchten wir über den Pass fahren, der heute jedoch wegen Schneefalls geschlossen war. Für morgen ist besseres Wetter vorher gesagt, mal sehen, ob sie öffnen. Die Alternative wäre westlich durch den Felbertauern Tunnel - per Shuttle - hoffentlich bleibt mir das erspart. Da also morgen vielleicht amtlich geklettert wird, hier noch ein paar Worte zu meiner körperlichen Verfassung: Die Beine sind noch erstaunlich gut und machen zuverlässig, was sie sollen. Der Nacken wird immer besser. Nur mein Hintern streitet sich unerbittlich mit dem Sattel, wer nun wem die Form gibt. Mir ist es am Ende egal, aber eine baldige Einigung wäre schön ;) In jedem Fall geht es morgen nach Kötschach - die letzte Nacht in deutschsprachigem Gebiet :) Gute Nacht für heute.






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