Sonntag, 23. August 2020

TPBR 2020: Tag 3 (Bruneck - Milano)

Bevor der Wecker um 7 Uhr klingelt, werde ich von Geräuschen geweckt: Ich habe bei offenen Fenstern geschlafen und auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Hotel höre ich, wie wohl eines der benachbarten Geschäfte beliefert wird. Nicht schlimm, es ist eine heitere Betriebsamkeit und durch die Vorhänge kann ich schon sehen, dass es ein schöner Tag wird. Meine Sachen sind über Nacht auch nahezu getrocknet, also packe ich schnell alles zusammen. Übrigens habe  ich mir überlegt, dass ich schneller fahren kann (und es vor allem mehr genieße), wenn ich halbwegs vernünftig schlafe - sollen die anderen sich mal schön die Nächte um die Ohren schlagen... Und essen muss ich ja sowieso. Also nehme ich das Frühstück, pünktlich um halb acht, auch noch mit. Als ich das Buffet sehe ist sofort klar, dass es die absolut richtige Entscheidung war, hier zu essen. Großzügig und vielseitig wie ein Tiroler Frühstück, aber mit Prosciutto Cotto und Crudo und diesen wunderbaren Kuchen, die es eben nur in Italien gibt. Das ist Südtirol: Best of both worlds! :)

Als Argos und ich starten bin ich allerbester Stimmung - welch ein Gegensatz zu gestern. Nicht auf die Trackerseite geschaut, gut erholt, blauer Himmel und: Es geht nach Italien. Also in das "richtige" Italien, wo man nur Italienisch spricht. Noch während ich Bruneck verlasse, rauschen zwei Mitfahrer an mir vorbei - sie fahren als Paar, dürfen einander Windschatten geben und sind wirklich flott unterwegs. Obwohl sie mich überholen, freue ich mich doch, sie zu sehen: Inzwischen sind wir über 500 km von Wien entfernt, das Feld wird sich schon reichlich zerstreut haben, aber trotzdem ist man nicht alleine unterwegs. 

Bald biege ich von der Bundesstraße ab und halte an, um mich für den Tag vorzubereiten: Sonnencreme. Während ich mich in Ruhe einschmiere (wie gesagt, das ist die treffendste Bezeichnung), radelt ein weiterer, einzelner Mitfahrer an mir vorbei. Ich bleibe locker - bis zum Ziel sind es noch über 1500 km und nach meiner gestrigen kleinen Krise habe ich eines verstanden: Dieses Rennen ist kein Sprint, bei dem man ständig aufmerksam auf die anderen schaut, um zu reagieren. Es ist eher wie Domino: Ab dem Start läuft ein weitgehend determiniertes Spiel ab - soweit alles nach Plan geht. Also brauche ich mich auch nicht verrückt zu machen, sondern folge einfach meinem "Plan". Reagieren muss man nur, wenn etwas schief läuft (Wetter, Pannen, Wehwehchen, falsche Planung...). Ein ziemlich lässiger Rennmodus: Das eigentliche Rennen findet fast vor dem Start statt...

Bei der nächsten Abfahrt überfahren wir ein paar Unebenheiten - und plötzlich höre ich ein zyklisches Rauschen vom Vorderrad. Mist, ein Platter. Gerade noch rechtzeitig, bevor sämtliche Luft endgültig aus dem Reifen entwichen ist, bekomme ich Argos zum Stehen und mache mich direkt an die Reparatur. Obwohl ich weiß, dass ich alles notwendige dabei habe (und das wirklich nicht zum ersten Mal mache), bin ich am Anfang doch irrational nervös. Aber das Loch ist schnell gefunden: Keine Perforation, sondern ein "Snakebite": Zwei nebeneinander liegende Löcher an den Seiten des Schlauchs, die entstehen können, wenn man mit zu wenig Reifendruck über eine Unebenheit fährt. Der gute Continental GP5000 ist damit rehabilitiert - und ich nehme mir vor, häufiger meinen Reifendruck zu prüfen. Während ich flicke, überholt mich ein weiterer Mitfahrer. Ich bin immer noch gelassen, aber langsam soll auch ich Land gewinnen. Endlich geht es weiter und ich freue mich auf einen Tag abrollen in die Po-Ebene.

Zwei schnelle Mitfahrer


Flicken

Auf den nun anstehenden 75 Kilometern nach Bozen geht es von gut 800 auf 260 hm runter - gemütliches Treten reicht für eine ansehnliche Reisegeschwindigkeit - sehr angenehm. Entsprechend schnell passiere ich Brixen und Klausen, bevor sich bei Bozen das Tal weitet. Während bisher noch alles reichlich nach Bergen aussah, mutet Bozen für mich schon vergleichsweise mediterran an. Vielleicht liegt das aber auch an den Temperaturen, die inzwischen an die 30 Grad gehen... An einem Brunnen fülle ich meine Flaschen nach und weiter geht es, nun durch zahlreiche Apfelplantagen. Die guten Südtiroler Äpfel - Argos ahnt offenbar, was in mir vorgeht, und fährt einfach weiter. Ansonsten könnte ich wohl kaum der Versuchung widerstehen...


Zum Reinbeißen. Aber Äpfel stehlen soll ja zuweilen böse Folgen haben...


Noch gute Laune

Die nächste Stadt hinter Bozen ist Trento, nach ungefähr 60 Kilometern. Irgendwo auf dem Weg dorthin kommt mir der Schwung abhanden. Ich fühle mich ziemlich langsam, was der Blick auf den Tacho leider bestätigt: Dafür dass es geradeaus bzw. leicht bergab geht, sollte ich eigentlich schneller sein. Ob es daran liegt, dass das Thermometer inzwischen über 30 Grad zeigt? Oder daran, dass meine Riegel vor 1 1/2 Stunden zu Ende gegangen sind, und ich seitdem nichts mehr gegessen habe? Irgendwann schaue ich auf die Bäume und mir wird klar: Gegenwind. Ich werfe einen bangen Blick auf die Wetterapp - und meine Stimmung rutscht eine gute Etage tiefer: Ein stabiler Südwind weht das Tal herauf; davon werde ich etwas haben, bis ich in knapp 100 Kilometern das Südende des Gardasees erreicht habe und nach Westen abbiege. Oh je. In Trento fülle ich wieder meine Flaschen nach (insgesamt 2 Liter) und kaufe mir drei große Stücke Pizza für unterwegs sowie etwas Gebäck und ein Chinotto (eine sehr aromatische Bitterorangenlimonade) für sofort. Danach geht es wieder etwas besser, aber ich bin trotzdem nicht zufrieden. Eigentlich sollte ich hier mit über 30 entlang segeln... Ob es wirklich die richtige Entscheidung war, durch die Po-Ebene zu fahren? Immerhin ist es ein traumhafter Tag, ich versuche mich abzulenken und denke daran, dass ich die noch verbleibenden 80 Kilometer bis zur Richtungsänderung in spätestens 3 - 3 1/2 Stunden hinter mir haben werde - das ist ja gar nicht mehr so lange hin... Na, ob solche Überlegungen die richtige Ablenkung sind? Zum Glück schreibt meine Schwester mir gerade in diesem Moment ein paar aufmunternde Worte. Endlich verlässt die Straße irgendwann das Tal, zieht sich durch ein paar Hügel hinauf, biegt um eine Kurve und vor mir liegt der Gardasee. Bei dem Anblick verbessert sich meine Laune schlagartig, zumal der Wind sich wie durch Geisterhand gelegt hat. Vielleicht doch eine ganz gute Route? Von Peschiera del Garda bis Desenzano del Garda fahre ich nahezu vollständig am Südufer des Sees entlang. Irgendwie gefällt es mir schon, aber es ist doch ziemlich touristisch und gefühlt hat jedes zweite Auto ein deutsches Kennzeichen. Und es gibt viele Autos. Feierabendverkehr im Badeurlaub? Als ich die Touristen hinter mir gelassen habe, wird mir bewusst, dass ich vor lauter Eile den ganzen Tag noch keinen Caffè getrunken habe. Bei der nächsten Bar wird dieser Umstand mit einem doppelten Espresso korrigiert, dazu gibt es eine Cola, ein paar Cannoli und zwei große Panini für unterwegs. Und dann geht es in die Ebene und wird endlich ruhiger.

Der erste Blick auf den Gardasee




Die Po-Ebene ist unter Radfahrern nicht gerade beliebt, weil man oft auf stark befahrenen Straßen unterwegs ist. Ich habe aber Glück und werde über Strade Provinciale, gewissermaßen kleinere Bundesstraßen geführt, mit überraschend wenig Verkehr. Für die idyllische Radtour ist es vielleicht nicht das richtige, aber ich will Strecke machen und dafür es ist absolut perfekt: Auf gutem Straßenbelag geht es auf direktem Wege nach Westen. Windstill und topfeben. Inzwischen ist es kurz vor acht und die Sonne steht tief und taucht alles in ein goldenes Licht. Es ist nicht mehr so heiß, ich liege in den Aerobars und fliege mit über 30 km/h nach Westen - und bin so zutiefst zufrieden wie lange nicht mehr. Eigentlich war das Tagesziel, bis ca. 40 Kilometer vor Mailand zu fahren und draußen zu biwakieren. Aber die Beine laufen so gut, dass ich es mir anders überlege: Die zwei Stündchen bis Mailand kann ich dann auch noch machen - und mir zur Belohnung wieder ein Zimmer nehmen. Schnell finde ich das perfekte Hotel: Ein Ibis mit 24 h - Rezeption und frühem Frühstück. Entsprechend motiviert trete ich in die Pedale. Gegen 0 Uhr passieren wir Milano Centrale, den Hauptbahnhof, als mir bewusst wird, dass mein letztes Panino schon ein paar Stunden zurück liegt und ich auf jeden Fall noch etwas essen sollte. Mein Hotel ist in einem etwas ruhigeren Viertel, aber gottseidank finde ich einen kleinen Laden, in dem ein Pakistani auf 8 Quadratmetern allen möglichen Krimskrams verkauft. Nach kurzem Zögern gebe ich mir einen Ruck und entscheide mich für die Full Fat - Full Carb Lösung: Eine Tüte Kartoffelchips. Im Hotel erlaubt man mir wie selbstverständlich, Argos mit aufs Zimmer zu nehmen. Dort esse ich mit Genuss die Chips, was sich, zu meinem Erstaunen, in dieser Situation fast wie ein richtiges Essen anfühlt. Und nach einer schnellen Abendroutine (Kleidung waschen, duschen, Zähneputzen) strecke ich mich wohlig auf dem Bett aus und schlafe in kürzester Zeit ein.

348 km, 1166 hm, 26.3 km/h.

Wieder gute Laune



Orzinuovi



Milano

Milano Centrale


Feierabend


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