Sonntag, 9. August 2020

TPBR 2020: Tag 1 (Wien - Admont)

Als ich aufwache ist es halb acht. Es war eine erholsame Nacht und ich fühle mich frisch und erholt. Auch meine Stimmung hat sich aufgehellt: Das wird schon alles irgendwie werden. Beim Frühstück lerne ich Stefan und Jochen kennen, zwei Mitfahrer, die auch beide zum ersten Mal dabei sind. Wir unterhalten uns über unsere bisherigen Eindrücke, Erwartungen und Sorgen - und stellen fest, dass wir alles ganz ähnlich wahrgenommen haben. Zu sehen, dass hier nicht nur abgebrühte Haudegen sondern auch andere "normale" Typen am Start sind, ist für uns alle drei irgendwie beruhigend und gibt uns ein Gefühl der Verbundenheit und Erleichterung. Wir verabreden uns zum Mittagessen. Bis dahin möchte ich noch umpacken und einen schönen Tip von Leonie beherzigen: Ein Besuch im Stephansdom steht an. Es ist ein strahlender Tag und im Gegensatz zu gestern bahnt sich Argos heute seinen Weg durch das einzigartige, unbeschreiblich schöne und elegante Wien mit spielerischer Leichtigkeit. Wir bewundern großzügige, elegante Straßenzüge, prächtige Fassaden und die Wiener, die in dieser einmaligen Stadt leben, ohne sich selber allzu ernst zu nehmen. Einfach klasse.




Vor dem Stephansdom...

... und im Stephansdom - einer Absperrung sei Dank hier ohne Besucher

Im Dom zünde ich eine Kerze an, halte ein paar Minuten inne und spreche ein Gebet, bevor ich mit einem guten Gefühl zu Argos zurück kehre. Der wird derweil von Gérard aus Chamonix bestaunt. Er ist in seinen späten Sechzigern und von Chamonix mit seinem Randonneur (einem robusteren, langstreckentauglichen Rennrad) hierher gefahren. Als ich ihm von meinem Vorhaben erzähle wünscht er mir freundlich "Bonne Route, bonne Courage!".

Zum Mittagessen mit Stefan und Jochen gibt es endlich ein richtiges österreichisches Essen: Käspressknödel auf Salat und ein (alkoholfreies) Stiegl dazu. Ich genieße Essen und Gesellschaft: Wie gut, die beiden getroffen zu haben - es ist einfach angenehm mit ihnen. Irgendwann spricht Jochen einen Gedanken aus, den ich so unterschreiben würde: Was für ein Glück es doch ist, an so einer Veranstaltung teilnehmen zu können und wie unzählig viele Bedingungen dafür alle erfüllt sein müssen - ein Privileg eigentlich.

Gemeinsam radeln wir zum Start am Schloss Schönbrunn, wo nach und nach die Mitfahrer eintreffen. Heute nehme ich alles ganz anders wahr als gestern - offen, interessiert und vor allem optimistisch und in froher Erwartung. Ich unterhalte mich mit verschiedenen Mitfahrern, es ist eine heitere, gelöste, kameradschaftliche Stimmung. Der Start erfolgt ab 16 Uhr in Gruppen á ca. 20 Fahrern und um 16.09 Uhr geht es für Argos und mich los.

Schloss Schönbrunn


"Meine" Startgruppe


Die ersten 6 Kilometer sind vorgegeben, beherrscht fährt die Gruppe los. Ein Rennen über 2000 km gewinnt man nicht auf den ersten 6 km. Und doch spüre ich kribbelnde Aufregung in mir: Gerade beginnt, worauf ich mich seit über sieben Monaten vorbereitet habe. Oft war es ein abstraktes, unfassbares Ziel, aber es hat mein Leben doch stets bestimmt - jetzt wird es Realität. Ich versuche, mein eigenes Tempo zu fahren und bin doch schneller als die meisten anderen. "Piano...", rufe ich mich zur Ordnung, und hänge mich mit reichlich Abstand an einen Typen, der eine gute Geschwindigkeit fährt. Nach den 6 Kilometern trennen sich die ersten Wege: Manche wollen die Großglocknerstraße von Süd nach Nord, ich von Nord nach Süd überqueren. Mein Pacemaker hat offenbar eine ähnliche Route wie ich. Bei der nächsten Gelegenheit quatsche ich ihn an - aber während die meisten Mitfahrer, dankbar für einen Aufhänger, freundlich antworten, bekomme ich von ihm eine abweisende Antwort. Ich unternehme noch einen weiteren Versuch, aber seine Antwort ist wieder barsch. Na schön, anders als zwischenzeitlich angenommen gibt es womöglich sogar hier 2 % unsympathische Menschen; 1 % habe ich jedenfalls gerade gefunden. Nach 30 km biegt er links ab und ich rechts - endlich alleine. Ich schicke einen Dank gen Himmel, dass ich meine Route nicht, wie offenbar 95 % der Mitfahrer, mit Komoot geplant habe, sondern mit Brouter, einer Software deren Algorithmus ich für absolut überlegen halte. Effiziente und nicht überlaufene Routen. Argos und ich rollen in der Spätnachmittagssonne zwischen Feldern und Ortschaften hindurch, mühelos, wie von selbst. Irgendwann sehe ich wieder ein paar vereinzelte Mitfahrer, aber bald verlieren wir uns wieder aus den Augen. Herrlich. Gegen 22 Uhr komme ich an einem Schloss vorbei und mache ein Foto, als mein unsympathischer Pacemaker vom Anfang an mir vorbeiradelt - grußlos, versteht sich. Gelassen lasse ich ihn ziehen. Im nächsten Ort fülle ich an einem Brunnen meine Flaschen auf und halte bei einem Dönerladen. Eine Cola und ein Döner werden sofort inhaliert, der zweite kommt als Nachtessen mit. Zu meinem Übernachtungsziel, Admont, sind es noch rund 50 km. Inzwischen ist es Nacht und die Straße windet sich durch dunkle Wälder in die Berge. Gegen 23 Uhr fährt ein Auto neben mich und bleibt auf meiner Höhe: "Alles ok bei Dir, brauchst Du Hilfe?" - "Nein nein, alles gut, danke." - "Wo willst Du denn eigentlich hin?" - "Nach Admont." - "Um diese Zeit??" - "Naja, wir machen hier so ein Rennen...". Das zieht. Sie wünschen mir alles Gute und fahren ihres Weges. Schon rührend, dass sie nachgefragt haben. Nach 45' kommt mir ein Auto entgegen und hält ein paar Meter hinter mir. Vollbesetzt, Fenster unten, Musik an: "Ey High Five, was machst Du denn hier?" Schnell erzähle ich meine Geschichte und mit einer Mischung aus Belustigung und Begeisterung machen sie ein paar Witze und bieten mir an, mich ein Stück mit zu nehmen...

Einer der vielen Trinkwasserbrunnen in Österreich

Gegen 0.30 Uhr kommen Argos und ich in Admont an. Ich habe mir bereits ein paar mögliche Schlafplätze ausgeguckt - meine Wahl fällt auf den überdachten Bereich eines Billa-Supermarktes, wo die Einkaufswagen stehen. Während ich mein Lager ausbreite (Isomatte, Schlafsack, Kopfkissen) und mich fertig mache (Zähne putzen, Katzenwäsche mit feuchten Tüchern...), kommen ein paar Mitfahrer vorbei, die aber keine Notiz von mir nehmen. Um halb zwei liege ich endlich in meinem Schlafsack und mache die Augen zu.

207.5 km, 1806 hm, 26.2 km/h.

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