Freitag, 7. August 2020

TPBR 2020: Der Tag vor dem Start

Um 4.30 Uhr klingelt der Wecker. Nicht schon wieder, ich habe mich doch gerade erst hingelegt! Die letzten Tage hatte ich mir bereits frei genommen, um noch alles mögliche zu erledigen. Natürlich die Routenplanung (wo werde ich wann sein, wo könnte ich schlafen, wo könnte ich einkaufen, Alternativrouten bei schlechtem Wetter...), die Packliste (die Frage ob ich wirklich eine zweite Radhose mitnehme hat mich lange beschäftigt - ich habe mich schließlich dafür entschieden) und alle denkbaren Arbeiten an Argos (neue Bremsbeläge, Bremsen entlüften und reinigen, neue Brems- und Schaltzüge, neues Lenkkopflager, neue Kurbel mit bergtauglicher Übersetzung, neues Tretlager, neues Lenkerband, neue Reifen, die Lichtanlage sauber verkabeln (danke Frederic!!), reflektierendes Klebeband anbringen (fordert der Veranstalter)...). Außerdem habe ich mir noch meine eigenen Müsliriegel gebacken, von denen ca. 1.8 Kilo mitkommen... Und wahrscheinlich habe ich noch die Hälfte vergessen. Jedenfalls war es am Vorabend wieder spät. Aber dafür brauche ich mir jetzt nur noch die Zähne zu putzen, mich anzuziehen und dann geht es los. Ich hieve den gut 20 kg schweren Argos die Treppe hinunter (inkl. Riegeln und Wasser) und wir rollen zum Hauptbahnhof. Dort habe ich noch Zeit, mir etwas vom Bäcker zu kaufen; nur Kaffee gibt's leider keinen: Im Zug möchte ich nochmal schlafen. 
Ein Berg Müsliriegel - sollte für 20 Betriebsstunden reichen ;)

Argos fertig gepackt


5.15 Uhr am Düsseldorfer Hauptbahnhof

Der Zug, ein durchgehender ICE4, ist pünktlich. Ich finde meinen Platz, setze die Schlafmaske auf und versuche mein Bestes, nochmal einzuschlafen. Aber ich bin unruhig. Habe ich wirklich alles dabei? Habe ich genug trainiert? Was wenn ich superlangsam sein werde? Je schläfriger ich werde, desto absurder werden meine Bedenken... Außerdem nimmt der Zug die alte Bummelstrecke am Rhein entlang, anstatt der Schnellfahrstrecke zwischen Köln und Frankfurt. Bei dem eierigen Gekurve kann ich sowieso nicht schlafen. Bei Bingen gebe ich auf, nehme die liebe Schlafmaske ab und hole mir einen Kaffee - die Nacht ist offiziell beendet. Noch etwas zerknittert schaue ich aus dem Fenster, als sich plötzlich jemand schwungvoll neben mich setzt - Jost!! Wir kennen uns von zwei Brevets, die wir im Winter gemeinsam gefahren sind, und auch er nimmt am Three Peaks teil. Wir unterhalten uns über alles mögliche, was den Umstand, dass der Zug wirklich an jeder Milchkanne hält, erträglich macht. Und als wir uns nach einigen Stunden alles erzählt haben, kommt Mike Opelt, ein weiterer Teilnehmer, dazu und die Unterhaltung beginnt von neuem. Meine unterschwellige Anspannung spüre ich aber immer noch - mir brummt der Schädel. Und ich merke, wie ich mich immer mehr aus dem Gespräch zurückziehe.

Als wir endlich ankommen, müssen die beiden noch ihre Räder zusammenbauen, ich hingegen fahre direkt zum Check In des Rennens. Das Zurechtfinden in der Stadt fällt mir merkwürdig schwer, Radwege, Ampeln, Autos, Fußgänger... An einer Ampel trete ich im hohen Gang mit Kraft an und die Kette wird vorne abgeworfen. Ich merke es zu spät, trete etwas zu lange weiter, und als ich die Kette wieder aufgelegt habe schleift sie vorne am Umwerfer. So ein Mist! Offenbar hat er sich verstellt. Wo hohe Kräfte sinnlos walten... Panik schwallt in mir auf, mit Anstrengung kämpfe ich sie nieder: "Ein bisschen Schleifen ist jetzt egal, im Hotel stellst Du es einfach in Ruhe wieder ein.". Dennoch beunruhigt mich diese kurze Episode, vor allem weil sie mir vor Augen führt, wie dünnhäutig ich bin. Der Check In ist in einem Fahrradladen (The BikePacKing Shop), vor dem ein Gewusel aus Teilnehmern herrscht. Ich erkenne einige Mitfahrer, die ich von ihren Blogs kenne und sehe Ulrich Bartholmös, einen der Top-Favoriten, der berühmt für schnelles Fahren und berüchtigt für niedrigen Schlafbedarf ist... Alle scheinen sich zu kennen, stehen gut gelaunt herum, unterhalten sich über Training, Material und Heldentaten - rasierte, muskulöse und oft tätowierte Beine, wettergegärbte Gesichter, sehnige Körper umspannt von braungebrannter Lederhaut, Carbon, Titan, Carbon. Und Argos und ich mitten drin. Au Backe, was hat mich nur geritten, uns hier anzumelden?! "Kondition statt Carbon.", brummt mir Argos lakonisch zu. Ihn scheint das alles nicht zu beeindrucken. Ich hingegen bin ziemlich verschüchtert. Ja, ich habe fleißig trainiert, aber die Leute hier sind alle keine Chorknaben...

Wir passieren den Bike Check (bremsen die Bremsen, klappert auch nichts, hat man funktionierendes Licht und ausreichend Reflektorband?), danach bekomme ich unseren Tracker und als ich ein paar unterschriebene Dokumente abgebe, lerne ich den Organisator kennen. Michael Wacker ist mir auf Anhieb sympathisch: Trockener münsterländischer Humor, genau die richtige Mischung aus cool und nett. Er macht ein paar auflockernde Witzchen und ich bin dankbar, dass ich mich nicht mehr ganz so fehl am Platz fühle.

Ein paar letzte Formalitäten...

Check In beim The BikePacKing Shop in Wien

Der strahlende Argos im Hotelzimmer


Als alle Formalitäten erledigt sind, mache ich mich direkt auf den Weg zu meinem Hotel. Argos darf mit aufs Zimmer und auf dem Bett sitzend esse ich ein paar Leckereien, die ich unterwegs bei einem Bäcker gekauft habe. Als ich fertig bin, fühle ich mich regelrecht erschöpft. Übelkeit, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Pessimismus - plötzlich wird es mir klar: Ich habe Migräne. Eigentlich möchte ich meine Ausrüstung effizienter packen und den Umwerfer einstellen, aber ich kann es jetzt nicht. Der Gedanke, morgen das Rennen in Angriff zu nehmen, erscheint mir absurd, ich kann mir nicht vorstellen, auch nur einen Kilometer zu fahren. Oh je. Ich lege mich aufs Bett und verfalle in einen merkwürdigen Dämmerzustand (richtig schlafen kann ich mit Migräne nie). Irgendwann klingelt das Telefon, meine Schwester möchte mir alles Gute wünschen. Etwas orientierungslos aber froh, ihre liebe Stimme zu hören, nehme ich ab. Als sie meinen Zustand bemerkt, muss ich sie regelrecht überreden weiter mit mir zu sprechen, weil sie mich nicht anstrengen möchte. Danach dämmere ich weiter vor mich hin. Irgendwann ist es 21 Uhr, ich fühle mich immer noch schlecht, aber ich weiß dass ich etwas essen soll. In einem abgeranzten Laden kaufe ich bei einem netten Typen ein paar Stücke Pizza. Eigentlich hatte ich mich auf ein schönes, österreichisches Abendessen gefreut, aber daran ist jetzt nicht zu denken. Zurück auf meinem Zimmer zwinge ich mir ein Stück rein und bleibe erschöpft auf dem Bett sitzen. Das muss doch irgendwann besser werden?! Wird es dann auch. Allmählich merke ich, wie die Anspannung von mir abfällt, meine Nerven sich beruhigen. Kraft und Zuversicht kommen wieder: Die Migräne geht und lässt mich mit einem Gefühl der Erleichterung und tiefer Dankbarkeit zurück. Gottseidank!

Mit einem Blick erfasse ich, was noch zu tun ist: Packen mache ich am besten morgen nach dem Frühstück, Umwerfer einstellen jetzt. Ansonsten die restliche Pizza essen, Zähne putzen, schlafen. Ein Kinderspiel, was mir vor ein paar Stunden als unüberwindbare Hürde erschien... Endlich kann ich Situationen wieder klar erfassen und angemessene Entscheidungen treffen. Vielleicht wird doch alles gut gehen? Mit Appetit esse ich die Pizza und bald ist alles erledigt. Erfüllt von Dankbarkeit sinke ich in einen tiefen, erholsamen Schlaf.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen