Dienstag, 26. Mai 2020

Auf nach Freiberg (Teil II)

Um 8.20 Uhr klingelt der Wecker. Allerdings fühle ich mich, als hätte ich die ganze Nacht kaum geschlafen. Kurz nach dem Hinlegen wurde mir kalt, also schnell die Beinlinge drüber. Zu kalt war es damit nicht mehr, aber gegenüber einem hermetisch abgeriegelten Schlafzimmer gibt es draußen im Wald eben doch allerhand zu hören. Außerdem muss ich aufpassen, nicht von der schmalen Bank zu fallen, auf der ich liege (der Boden schien mir zu dreckig). Irgendwann, deutlich vor Sonnenaufgang, erwachen dann die Vögel und veranstalten ein amtliches Pfeifkonzert. So bin ich fast erleichtert, als ich aufstehen kann - und dass ich die Nacht doch gut überstanden habe. Außerdem ist es ein traumhafter Morgen, mit gleißendem Licht und wolkenlosem Himmel.





Vor der Hütte

Etwas überfahren - aber glücklich

Etwas benommen packe ich meine Sachen zusammen, mache mich fertig und nach 55 Minuten verlassen Argos und ich dankbar unsere Unterkunft. Vorsichtig horche ich in mich hinein: Beine, Hintern, Schultern, Nacken - eigentlich fühlt sich alles ziemlich gut an. Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben - es war ja auch erst ein halber Tag.

Bis Greifenstein ist es nicht weit und als wir um eine Kurve biegen, erkenne ich die Burg. Der Ort liegt auf über 400 m, direkt oberhalb des Dilltals. Man hat eine wunderbare Aussicht, besonders an diesem Morgen. Ich schieße ein paar obligatorische Bilder und dann sausen wir die über 200 hm hinunter ins Tal. An einer Bäckerei gibt es ein Frühstück und dann geht es ziemlich eben weiter entlang der Dill und der Lahn bis nach Gießen. Dort mache ich schnell ein Bild vor einem legendären Dönerladen für meinen alten Freund Moritz und dann verlassen wir Gießen schon wieder in östlicher Richtung. Die Gegend kenne ich noch gut von früher und mit den meisten Ortschaften, durch die ich komme, verbinde ich Erinnerungen an Menschen, die ich einmal kannte und Geschichten, die ich mit ihnen erlebt habe. Ich denke darüber nach, wie manche Menschen und auch Gegenden einen für eine bestimmte Zeit begleiten, vielleicht eine prägende Rolle spielen, bevor das Leben eine Wende macht, und es in eine andere Richtung geht. Wege treffen sich und gehen wieder auseinander. Irgendwann kann man auf eine Reihe solcher Lebensphasen zurückblicken - für diese hier bin ich dankbar.

Burg Greifenstein

Blick nach Südosten

Hätte ich die Sonnenbrille auf dem vorherigen Bild auch mal getragen...

Die wohl einzige Spielhalle mit Dönerspieß über dem Eingang

Während ich so meinen Gedanken nachhänge, klettere ich langsam im Vogelsberg empor. Von der räumlichen Ausdehnung ist er zwar kein großes Mittelgebirge, aber immerhin komme ich bis auf über 600 m. Ich fürchte schon, dass ich zu langsam unterwegs bin, denn in Fulda, auf der anderen Seite, bin ich mit Freunden zum Kaffee verabredet. Die Abfahrt geht aber dafür ziemlich zügig und gegen viertel vor vier komme ich an unserem Treffpunkt im Cafe im Kloster Frauenberg an. Nach 150 bergigen Kilometern merke ich schon, dass meine Beine nicht mehr ganz frisch sind, und ich bin froh, eine Pause zu machen. Außerdem freue ich mich, die beiden zu sehen - es ist immer besonders schön, wenn man fernab der Heimat das bekannte Gesicht eines Freundes sieht. Wir essen gemeinsam, genießen die Aussicht auf die Stadt und die Rhön und quatschen über alles Mögliche, aber nach über 2 Stunden merke ich, dass ich langsam weiter soll. Schließlich habe ich noch rund 120 km vor mir.

Im Vogelsberg



Vatertag

Der Blick vom Frauenberg

Wir verabschieden uns und Argos und ich machen uns wieder auf den Weg. Die Pause hat gut getan, meine Beine fühlen sich an wie neu, Argos fährt praktisch von alleine das Fuldatal hinunter. Sanft geschwungene grüne Hügel, liebevoll gepflegte Ortschaften, und das alles schon wieder im goldenen Abendlicht - es ist schön hier. Mein Weg führt mich nach Bad Hersfeld, wo ich im Botanischen Gärtchen neben der Stiftsruine (darin finden die Festspiele statt) eine kurze Pause mache. Auch hier ist es schön. Ich erinnere mich an eine Pizzeria, die mit ihrem Steinofen wahre Wunder vollbringen konnte - aber in 50 km kommt in Herleshausen ein Mc Donald's, der für meine Schwester und mich eine historische Bedeutung hat (niemals würde ich sonst McDo den Vorzug geben!). Als Notration - von meinen selbstgebackenen Müsliriegeln ist inzwischen nur noch einer übrig - kaufe ich an einer Tankstelle noch schnell eine Bifi und eine kleine Packung Prinzenrolle. Und schon geht es weiter: Die nächsten 200 hm in Richtung Friedewald stehen an. Die Straße zieht sich durch dichte Laubwälder, und hier ist es bereits so dunkel, dass ich meine Lampe einschalte. Bei der Abfahrt fallen mir am Horizont plötzlich merkwürdige Umrisse auf - grauweiß und unwirklich hoch, im Vergleich zu den grünen, sanft abgerundeten Mittelgebirgshügeln. Als ich näher komme erkenne ich sie: Die Abraumhalden vom Kalibergbau. Ich liebe die Berge, aber diese Salzriesen sind irgendwie bizarr. Echte Fremdkörper in der Landschaft, und im Gegensatz zu den Abraumhalden vom Braunkohletagebau wird auf ihnen niemals etwas wachsen - sie bestehen aus Salz. Dennoch ist es eine wunderbare Abendstimmung - das Werratal ist einfach schön. Langsam bin ich aber doch etwas in Eile. Ich möchte ja noch etwas essen und gerne nicht wieder erst um 3 Uhr im Bett liegen. Also trete ich motiviert in die Pedale und denke an das "goldene M", bei dem Kathrin und ich bei unseren Fahrten nach und von Freiberg auf halbem Wege so viele Male eingekehrt sind - auch das eine Episode, die inzwischen über 15 Jahre zurück liegt.

Die Stiftsruine in Bad Hersfeld

Einer der Kali Berge bei Heringen


Entlang der Werra


Der Mc Donald's in Herleshausen

Als ich mich Herleshausen nähere werde ich allerdings unruhig: Wo ist denn nun bloß das goldene M? Die werden doch wohl noch nicht geschlossen haben? Man sieht sowas doch normalerweise von weit her... Als ich in die Straße einbiege kommt die Gewissheit - der Laden ist zu. Oh nein. Inzwischen bin ich wirklich hungrig. Und obwohl ich weiß, dass eine Prinzenrolle einen in solchen Situationen nicht im Stich lässt, sehne ich mich nach etwas Herzhaftem. Ich bin ziemlich in der Provinz, es ist ca. halb elf abends und in den letzten Ortschaften hatte schon lange nichts mehr geöffnet. Viele Möglichkeiten habe ich nicht mehr, aber in gut 10 km kommt Eisenach - da sollte es hoffentlich noch etwas geben.

Ich atme meinen letzten Müsliriegel ein und schon eilen wir weiter. Den geplanten Abstecher zur Wartburg schenke ich mir, und fahre direkt ins Zentrum. Gottseidank finde ich einen Dönerladen, in dem ich mit einem Wolfshunger einen Döner verschlinge und noch einen Falafel-Teller als Betthupferl mitnehme. Mein Ziel ist ein Örtchen ca. 15 km hinter Eisenach, in dem ich wieder eine Waldhütte ausgeguckt habe. Als ich aber nach 10 km in einem sehr stillen Ort an einer schönen gemauerten Bushaltestelle vorbeikomme, entscheide ich mich um. Es ist zwar direkt an der Hauptstraße, aber neben dem Eingang ist es in dem Häuschen so dunkel und uneinsehbar, dass ich mich ziemlich sicher fühle. Und außerdem bin ich schlicht hundemüde. Die "Abendroutine" ist zwar noch etwas holprig, aber um kurz vor eins liege ich im Bett. "Zwei Stunden früher als gestern", denke ich zufrieden und bin schon eingeschlafen. Gute Nacht für heute.

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