Es ist das zweite Mal, dass ich an diesem Rennen teilnehme; den Eintrag über das letzte Mal, letztes Jahr, bin ich schuldig geblieben. Es war so eindrücklich, so dicht, dass es mir danach schwer fiel, aus diesem Knäuel von Erinnerungen einen roten Faden zu entwirren. Und nachdem ich es zu lange versäumt hatte, meine Gedanken zu ordnen und zu dokumentieren, sah ich keine Chance mehr, eine zusammenhängende Geschichte darüber zu erzählen.
Die Eindrücke, die Empfindungen des letzten Jahres sind mir aber gut im Gedächtnis geblieben. Welche Gegensätze dieses Rennen enthält! Quirlige Küstenorte und entlegene Bergregionen. Strahlendes, goldenes Licht und stockfinstere Nacht. Wohlige Wärme und bittere Kälte. Äußerst bergige Passagen und... - nein. In dieser Hinsicht ist es sehr einseitig: Eigentlich geht es ständig auf und ab. Über 2 % durchschnittliche Steigung hören sich nach wenig an - 2 % kann man doch locker hoch rollen, könnte man denken. Aber da es in etwa eben so viel bergab wie bergauf geht und zwischendurch auch mal kurz eben ist (wirklich nur ganz kurz), fährt man gefühlt die ganze Zeit bergauf. Dann die Kälte. Ende Oktober in Süditalien - man träumt von friedlich-wärmender Nachmittagssonne. Die mag es auch geben. Aber sobald sie fort ist, und man die Küste in Richtung der Berge verlässt, erwartet einen die Nacht mit tiefschwarzer Dunkelheit, niedrigen einstelligen Temperaturen und der Gelassenheit eines Jägers, der weiß, dass er nun über 12 Stunden Zeit hat, sein Opfer zu stellen. Letztes Jahr habe ich keine einzige Nacht draußen verbracht, obwohl ich meine Isomatte und meinen Daunenschlafsack dabei hatte. Es war so kalt und abweisend, ich fühlte mich so ausgesetzt und verlassen, dass mir einfach der Mut dazu fehlte. Als ich damals in der zweiten Nacht unterwegs die Veranstalterinnen traf, fragten sie mich: "So what do you think about the race?" - "It's brutal.", war alles, was ich sagen konnte.
Aber nach der Nacht kommt der Tag und mit ihm dieses einmalige Licht, nach dem wir Mitteleuropäer uns so sehr verzehren. Apropos verzehren: Kulinarisch kann zumindest ich mir nichts besseres vorstellen, als von der besten Pizza der Welt (die Pizza in Neapel ist wirklich eine Kategorie für sich, die nichts mit dem zu tun hat, was einem landläufig als Pizza verkauft wird) zu den besten Arancini der Welt (frittierte und gefüllte Reisbällchen auf Sizilien - eine Sensation!) zu radeln. Die Bilder unterwegs, die Begegnungen, die Probleme mit denen man zu kämpfen hat und die man schließlich überwindet, die tiefe, völlige und ungekannte Entspannung im Ziel und die Gemeinschaft mit den Mitfahrern... Das alles sind einmalige, positive Eindrücke.
Allerdings ist es nicht so, dass ich zwischen den guten und den schlechten Empfindungen abwiegen würde. Vielmehr ist es wie ein Besuch in der Sauna, bei dem alles dazu gehört: Das Schwitzen bis man denkt, umzufallen. Die eiskalte Abkühlung, die einen nach Luft schnappen lässt. Erst die Kombination von Beidem macht das Erlebnis. Und so war mir schnell klar, dass ich mich wieder anmelden würde.
2020 am Etna, vor der letzten Abfahrt ins Ziel |
In diesem Jahr geht das Rennen in entgegengesetzter Richtung, also von Nicolosi auf Sizilien nach Ercolano bei Neapel. Zwei Tage vor dem Start fliegen Argos und ich nach Catania. Die Vorbereitungen waren schon nicht mehr ganz so fieberhaft, wie im letzten Jahr - beim inzwischen vierten Rennen bin ich nun doch gelassener. Aber einigermaßen hektisch war es doch, und als ich um 7 Uhr morgens das Flugzeug besteige, bin ich reichlich übernächtigt. Auf meinem Fensterplatz sitzt ein älterer italienischer Herr. "Isch abe keine Problem.", versichert er mit großzügig, als ich ihn darauf anspreche, dass dies mein Platz wäre, und macht keinerlei Anstalten aufzustehen. So verbringe ich den Flug auf dem Mittelplatz, und als der Herr anfängt zu husten, beginnt seine freundliche, aufgeweckte, vielleicht 13 jährige Enkeltochter zu meiner Rechten ein Gespräch mit mir, dem ich dankbar meine volle Aufmerksamkeit schenke.
Durch diese kleine Begegnung bin ich bereits in Italien angekommen, bevor das Flugzeug gelandet ist. Als ich denn auch körperlich ankomme, sehe ich neben den Gepäckbändern im Flughafen diverse leere Fahrradkartons - ich bin nicht der erste. Argos hat die Reise gut überstanden, und während ich ihn zusammen baue, kommen weitere Mitfahrer an. Ich bin froh, dass ich als Erster fertig bin und alleine aufbreche: Die 700 hm und 30 Kilometer möchte ich urgemütlich in meinem eigenen Tempo zurücklegen. Außerdem kann ich so halten, wann ich möchte - und tue es in der ersten netten Bar in Catania, wo ich einen wunderbar konzentrierten Caffè und ein süßes Teilchen bekomme.
Black liquor |
Der Bogen mit schwarzem Lavastein - typisch für Catania |
Argos ready to rumble |